angie mach den jogi! – oder ob politik vom fußball lernen kann

Noch eine halbe Stunde, dann hat das Warten ein Ende. Der nervöse Blick geht immer wieder zur Uhr, die Zeiger scheinen zu schleichen. Alles ist vorbereitet. Freunde sind da, gekühlte Getränke stehen bereit und der richtige Sender läuft auch schon. Angespannte Aufregung macht sich breit. Erste Diskussionen über Aufstellung, Strategie und Taktik werden laut. Und irgendwann ist es dann endlich soweit: Die Pressekonferenz von Angela Merkel und Philipp Rösler über die neue Gesundheitsreform beginnt! Spannung pur!

von Janina Latzke

Falscher Film? Leider ja. Niemand lädt seine Freunde zu sich ein, um live das Aktuellste über die anstehende Gesundheitsreform zu hören. Oder die Bundestagsdebatte über die neue Afghanistan-Strategie zu verfolgen. Denn Politik ist langweilig. Politiker sind undurchschaubar. In einer Umfrage der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung rangieren sie auf dem letzten Platz, wenn es um Vertrauen und Beliebtheit geht. Dagegen verkörpert Joachim Löw nach einer aktuellen SPIEGEL-Umfrage ein Deutschland, wie es sich 82 Prozent der Deutschen wünschen – wobei nicht genauer darauf eingegangen wird, was das genau beinhaltet. Dementsprechend ist das Interesse am Sport, insbesondere an Großereignissen, ungebrochen. Die Aufstellung der eigenen Fußball-Nationalmannschaft kann jedes Kind mitschreien, bei den Namen der Kabinett-Nationalmannschaft gerät man schnell ins Stottern: Ilse wer? Ach Schröder kenn ich natürlich, ich dachte aber immer, der wäre schon in Rente. Kein Wunder also, dass die Politik bei so viel Popularität eifersüchtig auf den Sport ist – und kaum eine Gelegenheit auslässt sich in seinem Glanz zu sonnen: Begeisterter Tribünenjubel, herzliche Glückwünsche oder auch der (Fußball-) Sportjargon. Mit einer „gelben Karte“ werden Politiker seit eh und je verwarnt.

Medialer Hattrick?

Aber was müsste die Politik tun, um ähnliche Begeisterungsstürme auszulösen wie die wöchentliche Bundesliga oder sogar die großen Turniere? Kann die Politik hier etwas vom Fußball lernen? Der erste Gedanke, wenn es um die Spannung in der Politik geht, führt zumeist über die Medien. Politik würde demnach als „Zweikampf“ inszeniert, als „Revier-Derby“ zwischen den Parteien mit spannendem Finale – am besten mit Elfmeter-Krimi. Da gibt es harte Fouls von Rechtsaußen und schnelle Konter der gegnerischen Mannschaft. Merkel schafft mit ihrem gekonnten Kurzpassspiel mal wieder den Hattrick – drei Gesetze in nur einem halben Monat, das gab es zuletzt vor zwei Jahren in der zweiten Liga bei Rüttgers gegen Kraft! Und jede Woche zeigt ein Blick auf die aktuelle Parteitabelle, wer sich denn in der letzten Woche wie und mit wem geschlagen und wer gewonnen hat. Politik als Sportshow? So einfach ist es nicht. Der Showanteil in der Politik wird zwar gefühlt größer, spannender macht er die Politik aber nicht. Hinter dem dargestellten Zweikampf stehen komplexe Parteiapparate mit unterschiedlichen internen Strömungen. Warum tasächlich diese oder jene Entscheidung getroffen wurde – also der spannende Teil – bleibt dabei häufig im Dunkeln. Politik ist zudem ein zäher Prozess, der sich nicht so plakativ darstellen lässt, wie die Bundesligatabelle. Ergebnisse sind nicht so eindeutig wie im Sport, es gibt nicht immer klare Sieger und Verlierer. Der Versuch, die Politik durch die Übernahme von medialen Gesetzmäßigkeiten und Showelementen für den Bürger spannender zu machen, ist in der Vergangenheit häufiger gescheitert, als dass er erfolgreich war. Die mäßigen Einschaltquoten beim TV-Duell zur letzten NRW-Landtagswahl sind ein Beispiel hierfür.

Interne Angelegenheiten

Wenn die Politik aber weitaus schlechter zu vermarkten ist als der Sport, kann die Politik sich dann überhaupt mehr als nur eine „verbale“ Scheibe vom Sport abschneiden? Gibt es Schnittstellen, die nicht direkt die Außendarstellung betreffen? Nein, mag mancher sagen, Sport und Politik sind völlig unterschiedliche Dinge, auch wenn man sich das interne System und Entscheidungsmanagement ansieht. Im Sport hat der Trainer quasi diktatorische Vollmachten. Er kann aufstellen, wen er will, er kann die Taktik vorgeben, die ihm vorschwebt. Wenn ein Sportler seine Leistung nicht bringt, kommt er auf die Bank. Basta. In Demokratien und gerade in Deutschland heißen unsere Spieler mit Vornamen oft Veto und sehen es gar nicht ein, sich von der Politik auf irgendeine Bank setzen zu lassen. Reformen, die ihnen nicht gefallen, werden mit allen Kräften blockiert. In zähen Verhandlungen und mit vielen Kompromissen werden die meisten dann zu Reförmchen, damit überhaupt etwas passiert. Nein, Sport hat mit Politik rein gar nichts zu tun. Oder doch? Schließlich geht es hier wie dort um eine Mannschaft, die zusammengestellt werden muss, in der jeder sein Spezialgebiet und eine bestimmte Funktion hat. Es gibt Ziele, die von der Gesellschaft erwartet werden, manchmal kann der Trainer aber auch selbst Ziele festlegen. Um diese zu erreichen, muss die Mannschaft zusammenarbeiten und braucht zudem eine kluge Strategie. Aber wie könnten diese Weisheiten aus dem Sport/Politik-Einmaleins konkret im Politik- und Regierungsmanagement aussehen?

Team – Ziel – Idee

Fußball und Politik sind Mannschaftssportarten. Wie der Trainer stellt auch der Regierungschef sich sein Team zusammen. Dabei bleibt eine Mannschaft ohne jeglichen Esprit blass und wenig begeisternd. Jedes Mitglied deckt ein bestimmtes Feld auf dem Platz ab und ist mit der jeweiligen Position beziehungsweise dem Thema verbunden. Dabei hat jedes Mitglied bestimmte Freiheiten, wie es seine Rolle ausfüllen möchte, welche Akzente er oder sie setzen kann. Die Person hängt damit eng mit der Wahrnehmung seines Arbeitsbereiches zusammen. Die Entscheidung über die Auswahl der Mannschaft hat damit viel Einfluss auf die Politik und ihre Perzeption – eine kluge Zusammenstellung ist die Grundlage für den Erfolg. Eine Mannschaft funktioniert nicht ohne Teamarbeit und Fairplay. Auch das beste Team – Grüße an Frankreichs WM Fußballer – bleibt erfolglos, wenn das interne Gleichgewicht nicht stimmt. Alleingänge scheitern in der Regel und werden von den Teamkollegen mit entzogenem Vertrauen bestraft. Beim nächsten Mal bekommt er oder sie nicht den Ball. Gegenseitige Schuldzuweisungen sind in der Regel unproduktiv – geschlossen auftreten heißt die Devise.

Dabei läuft es natürlich nicht immer gut in der Mannschaft. Manchmal werden Spiele verloren, so manches Gesetz bleibt im Netz der Bürokratie kleben, bis es völlig verformt wieder ausgespuckt wird. Dabei ist gerade nach Rückschlägen Ausdauer gefragt. Wichtig ist, dass es klare Ziele gibt und eine passende Strategie. Was wollen wir erreichen? Was ist uns am wichtigsten? Und wie kann das Ziel erreicht werden? Müdes Gekicke hier, Mittelfeldgeplänkel da, führen zu keinem Tor. Wenn die Strategie partout nicht zum Ziel führt, sollte außerdem nicht das Ziel, sondern vielleicht die Strategie geändert werden. Ein Gesetz, das nicht verabschiedet wird, muss nicht direkt schlecht sein, nur hat man vielleicht nicht die überzeugenden Argumente vorgetragen oder nicht mit den richtigen Leuten gesprochen. Ein Gesetz, das keine Wirkung zeigt, macht das Ziel nicht unerreichbar, nur muss das Ziel möglicherweise auf einem anderen Weg, mit einer anderen Taktik, von einem anderen Ansatzpunkt aus visiert werden. Hier ist Mut zu neuen Ideen gefragt. Denn kaum ein Spiel wurde je durch Zaghaftigkeit gewonnen. Die Komplexität von Problemen erfordert kreative Lösungen. Auf dem Platz geht es um den Kampf um die besseren Konzepte. Eine Mannschaft darf sich dabei auch nicht zu sehr beirren lassen. Kritik sollte ernst genommen werden, aber das eigene Handeln darf nicht nur von der Stimmung außerhalb des Teams abhängen. Unpopuläre Entscheidungen müssen getroffen werden, auch wenn es sich um den besten Stürmer der Saison handelt. Es gilt, zu überzeugen und zu zeigen, dass der eingeschlagene Weg Sinn macht. War die Entscheidung richtig, ist der Respekt danach umso größer. Denn zu viel Zaudern, zu viel Hin und Her, machen den Trainer einer Mannschaft unglaubwürdig. Dabei spielt Kommunikation eine Rolle, sowohl die interne Kabinenbesprechung, als auch die Statements in der Öffentlichkeit. Leere Versprechungen, ausgelatschte Phrasen und lustlose Interviews motivieren und begeistern niemanden. Das Gegenmittel sind persönliche, klare und auch inspirierende Worte – im Sport wie in der Politik.

Klar, der Sportplatz ist nicht das Politikparkett. Politik ist nicht nur ergebnisorientiert, die Koordination um ein Vielfaches schwieriger und das tägliche Organisieren von Mehrheiten nicht zu vergleichen mit den Traineranweisungen für ein kommendes Spiel. Wirklich viel lernen kann die Politik darum nicht vom Fußball. Aber eine kluge Aufstellung, ein klares, realistisches Ziel und eine innovative Strategie können hier wie da erhöhte Aufmerksamkeit auf sich ziehen – und das ist im Sport selbstverständlicher als in der Politik. Denn auch Politik kann zum spannenden Schlagabtausch werden, zum Ort leidenschaftlichen Engagements und kreativer Ideen, über die es sich lohnt zu fachsimpeln. Und Politik hat etwas, was der Sport nicht hat: Politische Entscheidungen betreffen früher oder später jeden. Darum stellt schon mal die Getränke kalt – die nächste Pressekonferenz kommt bestimmt.

Janina Latzke

hat an der RWTH Aachen Politik sowie Sprach- und Kommunikationswissenschaft studiert und ist seit Oktober 2009 Masterstudentin an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte sie unter anderem im Bundestag, beim DAAD, bei einer Kommunikationsagentur und im Presse- und Wahlkampfteam der Grünen NRW.