Lobbyismus: „Die fünfte Gewalt“ oder „Die im Dunkeln sieht man nicht“

Angst – Empörung – Hochverrat! Mit diesen Emotionen spielen Artikel, die sich mitunter wie groß angelegte Verschwörungstheorien oder apokalyptische Prophezeiungen lesen lassen. Worum es in diesen Artikeln geht? Nein, nicht um Terroristen oder etwa die `Ndrangheta– es geht um „die Einflüsterer“, um Lobbyisten und ihre Arbeit.

 

Diese von Grund auf bösen, mafiösen und zutiefst korrupten Strukturen unterwandern unsere schöne, parlamentarische Demokratie – was bleibt ist Schattenpolitik. Die Strippenzieher und ihre Auftraggeber kaufen sich einfach unseren Staat… Ja wo kommen wir denn da hin, frage ich.

Aber weil wir uns ja hier im Rahmen eines Hochschulmagazins bewegen: Lassen Sie uns die Sache zunächst wie gewohnt sachlich-nüchtern, vielleicht auch mit ein wenig wissenschaftlichem Geschick: Der Begriff Lobby kommt, wie so ziemlich alle uns bekannten Worte, ursprünglich aus dem Lateinischen. Also „Labium“, französisch abgeleitet „Salle d’Attente“, englisch eben Lobby – zu Deutsch „Wartehalle“. In dem uns hier vorliegenden Fall also die Wartehalle vor dem Parlament. Demnach sind Lobbyisten Menschen, die sich in einer Wartehalle vor dem Parlament aufhalten. So weit, so gut. Stellen wir uns also Folgendes vor:

Eine große, mit Marmor und Granit ausgekleidete Halle. Massive Säulen ragen majestätisch in schier ungreifbare Höhen auf. Es ist kühl, fast kalt. Und still. Keine, der hier zwischen den Säulen wartenden dunklen Gestalten in langen Mänteln und breitkrempigen Hüten regt sich, die Augen sind starr auf die geschlossenen hölzernen Flügeltüren gerichtet; jeder Muskel gespannt, wie bereit zum Sprung. Dann – plötzlich – ein Geräusch. Gedämpft, aber doch laut genug, um einen Ruck durch die Wartenden zu jagen. Es klingt wie Beifall, Klatschen, Applaus. Fast im selben Moment springen die Flügeltüren krachend auf, die Halle wird mit wiederhallenden Wortfetzen und quietschendem Stühlerücken gefüllt, gesichtslose Anzugträger treten alleine oder in Grüppchen in die Vorhalle. Wie auf ein unhörbares Signal hin mischen sich die dunklen Gestalten unter die Anzugträger, schütteln Hände, lachen, scherzen und herzen – das Büffet ist eröffnet.

Am nächsten Morgen titeln diverse aufgeklärt-kritische Tageszeitungen und kurze Zeit später die rebellischsten unter den Wochenmagazinen mit Aufmachern wie „Mister Moneypenny“, „Die fünfte Gewalt“ oder „Die im Dunkeln sieht man nicht“. Hauptkritikpunkt und immer wiederkehrender, aber keineswegs neuer Vorwurf: Geld macht Politik. Die großen unter den vielen Interessenverbänden und privaten Unternehmen hetzen ihre Vertreter, die Lobbyisten, auf unsere vom Volk gewählten Repräsentanten, um deren Willens- und Meinungsbildung zu beeinflussen und damit im Interesse der Auftraggeber die Politik, offen oder verdeckt, jedenfalls aber aktiv zu lenken. Mit anderen Worten: Reiche Menschen setzen mit Geld und Macht ihre Interessen im Land durch. Klingt doch ein bisschen nach Mafia? Nur ohne Knarre und Kanone?

Von „Klinkenputzern“ zu „U-Booten der Industrie“

Doch damit nicht genug – der Vorwurf geht noch weiter: Der Lobbyist hat sich längst im zentralen Nervensystem der Macht festgebissen. Denn die Karriere vieler Lobbyisten reicht heute weit über die eines Staubsaugervertreters und Geldkofferträgers hinaus – sie werden zu privat bezahlten „Leihbeamten“, zu „U-Booten der Industrie“. Wo sie früher noch als Klinkenputzer unterwegs und so als Lobbyisten klar erkennbar waren, sitzen sie mittlerweile selbst hinter den Behördenschreibtischen und tippseln an Gesetzesentwürfen mit. Und das geht so: Mitarbeiter aus namhaften Firmen werden in der Politik vor wichtigen Entscheidungen als Experten in ihrem Fachgebiet hinzugezogen. Hierzu lässt die Bundesregierung die entsprechenden Lobbyisten als sogenannte „externe Mitarbeiter“, der Einfachheit halber direkt in den Ministerien mitarbeiten. Einige haben es als Referatsleiter sogar bis weit nach oben in die Spitze der Ministerialbürokratie geschafft. So können ganz gemütlich und bei einer Tasse Kaffee Vorlagen aus den jeweiligen Konzernspitzen ins Gesetz eingearbeitet werden, ohne dass man sich hierfür in kalten Vorhallen herumdrücken, sich bei gesichtslosen Anzugträgern einschleimen oder gar mit der Presse herumschlagen muss − eigentlich ganz praktisch. Geht auch viel schneller so. Das Problem ist aber: Diese Expertise ist aus der Natur der Sache heraus nicht unabhängig, sondern interessengeleitet.

Und daran reibt sich regelmäßig die gesamte deutsche Presselandschaft. Einige Zeitungen, Magazine oder andere Formate haben es sich auf die Fahnen geschrieben, im Kampf gegen die Bedrohung aus der Wirtschaft nicht locker zu lassen. Regelmäßig berichten sie über neue Skandale, warnen vor den Gefahren und Risiken, die der Lobbyismus in sich birgt. Und sie haben Recht. Zumindest ein bisschen.

Der ein oder andere geneigte Leser fragt sich an dieser Stelle wohl zu Recht: Wenn das alles so furchtbar ist – warum um Himmels Willen ist der Lobbyismus nicht schon längst verboten? Warum gibt es Lobbyisten, was haben die Politiker, ja vielleicht sogar die Politik als solche oder gar die Gesellschaft von der Zusammenarbeit mit den Lobbyisten? Eigentlich müsste man doch Angst haben, dass sich deren schlechter Ruf auf die Mächtigen im Land überträgt, dass unsere hart erarbeitete und hoch geschätzte parlamentarische Demokratie auf das schlimmste unterwandert und von innen heraus ausgehöhlt wird, bis sie wie eine ausgedörrte Pflaume verschrumpelt ist und einem durch und durch korrupten politischen System Platz macht.

Gute Lobbys, böse Lobbys

Und das kann doch nun wirklich keiner wollen. Hierzu eine ganz einfache Antwort: Politiker sind auch nur Menschen (und Lobbyisten übrigens auch). Ein Gesundheitsminister ist nicht automatisch Spezialist für Krankenkassenbeiträge oder die neuesten Ergebnisse in der Krebsforschung. Hier braucht er externe Expertise, um die (für ihn) richtigen und besten Entscheidungen zu treffen. Er fragt also Lobbyisten aus den großen Pharmakonzernen um Rat. Und damit diese sich nicht selbst als Gegenleistung eine gehörige Überdosis Macht verschreiben, dreht etwa die Krankenkassenlobby die Stellschrauben gezielt, und wenn es sein muss medienwirksam, in andere Richtungen. Auch wenn einzelne Lobbys stärker sind als andere, so werden auf diese Weise doch die gesellschaftlichen Interessenlagen ausgelotet und manchmal vielleicht auch in ein Gleichgewicht gebracht.

Denn in allererster Linie machen widerstreitende Ideen, Interessen und die lebhafte und freie Diskussion, wie wir alle wissen, eine gut funktionierende Demokratie ja gerade aus. Und schließlich gibt es neben den „Bösen“ – den großen Wirtschaftsmagnaten, die die Politik als Werkzeug missbrauchen, um unsere Gesellschaft ohne Rücksicht auf Verluste bis auf den letzten Tropfen ausbluten zu lassen, nur damit ein paar Vorstandsmitglieder den nächsten Malediven-Urlaub nicht unter unmenschlichen Bedingungen ertragen müssen – ja auch noch „die Guten“. Greenpeace zum Beispiel formiert die Umweltlobby. Und das Deutsche Rote Kreuz bildet ein „Bündnis für gute Pflege“. So gibt es verschiedene gemeinnützige Organisationen, die sich unterschiedliche Ziele auf die Fahnen geschrieben haben. Ja, auch die machen Lobbyarbeit. Und das ist auch gut so, für den Interessenausgleich eben.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Schon bei den antiken Römern warteten Lobbyisten draußen in der Wartehalle auf die Möglichkeit, die gesetzgebende Versammlung drinnen bei der Gesetzgebung zu beeinflussen, nur in Toga und mit Schriftrollen in der Hand – und zu dieser Zeit gab es die `Ndrangheta noch lange nicht.

Wir können also festhalten: Lobbyismus ist nicht per se böse. Vielmehr sprechen wir hier über einen wesentlichen und wichtigen, ja unverzichtbaren Bestandteil unserer Demokratie. Also ein bisschen mehr Respekt, wenn ich bitten darf. Doch zumindest in Bezug auf die Kontrolle erscheint die mediale Empörung sinnvoll. Denn der Lobbyismus kann nur dann als Schattenpolitik unsere Demokratie unterwandern und korrumpieren, wenn wir es zulassen. Der erste Schritt ist freilich getan: Vor etwa einem Jahr wurde ein EU-Lobbyregister eingerichtet. Das so genannte Transparenz-Register. Soweit so gut. Aber so ein Register funktioniert nur, wenn auch wirklich alle mitmachen. Problem: Wer mitmacht, muss angeben, wie hoch der Umsatz und die Lobbyaufwendungen sind. Außerdem gibt es einen Verhaltenskodex − wer den nicht einhält, muss mit den unterschiedlichsten Sanktionen rechnen. Es geht also mal wieder ums liebe Geld. Wer hat wann, woher, wie viel bekommen? Und zu allem Überfluss ist das Mitmachen freiwillig – das wollte die EU-Kommission bisher so. Man kann sich also denken, dass nicht alle Lobbyisten Lust darauf haben. Also machen nur die mit, die eh fair arbeiten. Und gerade die ganz großen – Deutsche Bank oder ThyssenKrupp etwa – haben besseres zu tun, als sich freiwillig kontrollieren zu lassen. Also muss man sie zwingen. Verpflichtende Registrierung für alle – die gleichen Spielregeln für alle. Es wäre ein vergleichsweise kleiner Schritt für die EU-Kommission, aber ein großer Schritt für unsere Demokratie!

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