Was sind (uns) unsere Politiker wert? Die Debatte um die Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten

Die Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück hat ganz nebenbei eine alte Diskussion neu entfacht: Wie viel sollte eine Bundestagsabgeordneter verdienen? Auf diese brisante Frage hat jedermann natürlich seine eigene „richtige“ Antwort. Ein prüfender Blick auf die Nebeneinkünfte von Parlamentariern kann helfen die Debatte zu versachlichen.

Die SPD hat ein Problem. Ausgerechnet ein Sozialdemokrat, noch dazu der eigene Kanzlerkandidat, ist an der Spitze der Nahrungskette im Bundestag angelangt: Fast zwei Millionen Euro soll Peer Steinbrück über Vorträge, Aufsichtsratsposten und publizistische Tätigkeiten in der laufenden Legislaturperiode kassiert haben. Zu viel? Die Kontroverse beweist, wie misstrauisch die eigene Bevölkerung ihren gewählten Vertretern gegenübersteht. Gerade das Thema Nebeneinkünfte scheint das böse Vorurteil zu bestätigen, dass es „den Politikern“ eben doch nur ums schnöde Geld geht. Der Blick auf die Realität des Abgeordnetendaseins zeigt aber, dass die Dinge – wie immer bei solch schwierigen Fragen – nicht so eindeutig stehen.

Mehr Netto vom Brutto – bei den Abgeordneten längst Realität

Um eine Sache vorwegzunehmen: Ja, einem Bundestagsabgeordneten geht es finanziell besser als dem durchschnittlichen Arbeitnehmer. Mit einer Abgeordnetenentschädigung von momentan 7.960 Euro Brutto (dem eigentlichen “Lohn“), einer steuerfreien Kostenpauschale von 4.029 Euro (Büroausstattung, ggf. Zweitwohnung etc.), einer Mitarbeiterpauschale von 15.580 Euro und einer Vielzahl von Privilegien, wie beispielsweise der kostenlosen Mitfahrt in allen öffentlichen Verkehrsmitteln, geht es den Volksvertretern bestimmt nicht schlecht. Auch von den Pensionen und Übergangsgeldern ehemaliger Parlamentarier kann der Otto-Normalbürger nur träumen.

Die vielen Privilegien haben aber eine handfeste Begründung: Ziel ist es, einen uneingeschränkt arbeitsfähigen Volksvertreter zu schaffen, der allen seinen Pflichten – sei es Gesetzesarbeit oder der Besuch vor Ort – eigenständig nachkommen kann. Dazu sind ganz banale Dinge wie Zeit, Geld, ein Büro und Mitarbeiter von Nöten. Niemand, der sich nicht gleichzeitig in einen Widerspruch verwickeln möchte, kann ernsthaft unabhängige Parlamentarier und eine niedrige oder gar eigenständige Bezahlung fordern. Erfolgreiche Vertreter aus der freien Wirtschaft – der richtige Maßstab für einen entbehrungsreichen und schwierigen Beruf, dem ein diffiziler Ausleseprozess vorgeschaltet ist – können über das Gehalt eines Bundestagsabgeordneten ohnehin nur müde lächeln. Kein Topmanager würde sich mit so einem „Hungerlohn“ abspeisen lassen.

Schwieriger als die Frage nach den Diäten ist deshalb die nach den Nebeneinkünften. Parlamentarier haben nämlich das Recht, neben ihrer Abgeordnetentätigkeit auch ihrem altem Beruf oder anderen Nebentätigkeiten nachzugehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass nicht nur politische Karrieristen, sondern auch Quereinsteiger einen Anreiz haben, ein Bundestagsmandat anzustreben. Dabei kann die Nebentätigkeit – bei einem Unternehmer zum Beispiel leicht einzusehen – sogar das Einkommen als Bundestagsabgeordneter übersteigen. Hier liegen vor allem zwei große Probleme begraben: Wann übersteigt das Nebeneinkommen die Grenzen des guten Geschmacks? Und vor allem – kann die Stimme eines Bundestagsabgeordneten gekauft werden?

Mehr Transparenz wagen – Wer wen wann bezahlt hat

Auf die Frage nach der Höhe der Nebeneinkünfte kann zunächst einmal Entwarnung gegeben werden. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de geben sich 427 von 620 Parlamentariern mit ihren Diäten zufrieden. Die übrigen müssen ihre Nebeneinkünfte momentan noch in drei Stufen veröffentlichen: Die erste Stufe reicht bis 3500 Euro, die zweite bis 7000 Euro und die dritte beginnt ab 7000 Euro. Von den übriggebliebenen 193 Abgeordneten, welche überhaupt Nebeneinkünfte beziehen, geben gegenüber der Bundestagsverwaltung 126 an, mehr als 7000 Euro innerhalb der Legislaturperiode verdient zu haben. Diese Zahl verteilt sich natürlich noch einmal auf verschiedene Parteien: In der CDU sind es 59, in der FDP 25, in der CSU 18, in der SPD 17, bei den Linken 5 und bei den Grünen 2 Abgeordnete, welche die dritte Stufe überschreiten. Schaut man sich dazu noch die Spreizung der 10 Topverdiener an, bei der Peer Steinbrück mit mindestens 698.945 Euro an der Spitze und Michael Fuchs (CDU) mit mindestens 155.500 Euro am Ende steht – dann wird deutlich, dass es nur sehr wenige Spitzenverdiener im Bundestag gibt. Wirklich reich wird die große Mehrheit der Abgeordneten also nicht.

Bleibt die Problematik mit der Quelle der Nebeneinkünfte. Kann ausgeschlossen werden, dass die Stimme eines Bundestagsabgeordneten gekauft werden kann? Auch dieses Extrem ist sehr unwahrscheinlich, wird das Abstimmungsverhalten doch von Fraktions- und Parteilogik überlagert – kein Abgeordneter könnte es sich auf Dauer leisten, hier immer wieder Partikularinteressen sichtbar werden zu lassen. Der eigentliche Kern der Problematik wird nun langsam deutlich: Er liegt nicht in der Abstimmung selbst, sondern in der davorliegenden Gesetzgebungsarbeit.

Die Ausformulierung eines Gesetzes ist nämlich ein Verhandlungsprozess mit vielen Spielern, in dem manchmal über jede Passage, jedes Wort, zäh gerungen wird. Neben den jeweiligen Ministerien, aus welchen heutzutage die meisten Gesetzesvorlagen stammen, spielen natürlich auch Parlamentarier eine zentrale Rolle in diesem Prozess. Es ist nun nicht auszuschließen, dass ein Aufsichtsratsposten oder die anwaltliche Tätigkeit einen Bundestagsabgeordneten dazu veranlassen könnte, eine Gesetzesänderung im Sinne des „Kunden“ durchzusetzen. Wieder gilt aber: Dem steht eine ganze Reihe von „Checks and Balances“ gegenüber. Gesetzesvorlagen werden nicht von einem einzigen Parlamentarier, sondern im Konzert mit anderen Kräften, erarbeitet.

Insgesamt ist damit festzustellen, dass es sich bei der ganzen Diskussion also um eine Minderheitenproblematik handelt – die aber unbedingt geklärt werden muss. Der neueste Vorstoß der Koalition zu einer feineren Differenzierung der Einkommensstufen und damit größeren Sichtbarkeit der wirklichen Nebeneinkünfte geht deshalb schon mal in die richtige Richtung, ist aber noch lange nicht perfekt. Um das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen, scheint es vernünftig, dass Parlamentarier zumindest die Branche angeben müssen, aus der ihre Nebeneinkünfte stammen. Damit ließe sich ein Zusammenhang zwischen Geldflüssen und seltsamem Abstimmungs- bzw. Gesetzgebungsverhalten viel besser nachvollziehen.

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