“It’s the United Union, stupid!”

„Es geht um Geld, scheinbar nur um Geld, jedenfalls immer wieder um Geld, um Schulden und ihre Tilgung, um Schuldenschnitte und ihren Umfang.“ Treffender als Norbert Lammert Ende 2011 kann man die derzeitige Krisendiskussion in Europa nicht zusammenfassen. Geldpolitik, Politik und Geld – Wie man es auch dreht und wendet, in der aktuellen Situation sind diese beiden wichtigen Teile unseres Lebens wohl so eng ineinander verzahnt wie nie zuvor. Politik manifestiert sich eben nicht nur im Haushalt monetär, Geld ist seit jeher ein beliebtes Wahlkampfinstrument. Wie wirkungsvoll man damit Stimmung machen kann, zeigt unter anderem Großbritannien seit Jahrzehnten eindrucksvoll mit dem allseits beliebten „Britenrabatt“ in der EU.

Hierzulande betrieb die Boulevardpresse nahezu systematisch ein „Südeuropa-Bashing“ und dabei ging es – klar – ums Geld. Es ging um Schulden. Die verzerrte Debatte beginnt schon bei der Semantik: Kredite sind gut, Schulden sind schlecht. Dass man de facto Schulden macht, wenn man einen Kredit aufnimmt, scheint keinen zu stören. Es dauerte eine Weile, bis die Hans-Olaf-Werner-Henkel-Sinns dieser Republik aus den Talk-Shows verschwanden und Platz schafften für vernünftigere Argumente und Erkenntnisse. Unter anderem für die Tatsache, dass auch unsere Wirtschaft nur auf Schulden basiert, denen der Südländer nämlich. Ein Beispiel: Fast jedes vierte Auto, das VW und Co. vor der Krise im Ausland abgesetzt haben, wurde in einen der heutigen Krisenstaaten geliefert. Ein Leistungsbilanzüberschuss in Deutschland bedeutet zwangsläufig ein Leistungsbilanzdefizit unserer engsten Handelspartner. Das ist die EU – Überraschung! Und als wären wir nicht schon Glückskind genug, profitieren wir von der Krise munter weiter. Während der Bund zwischen 2008 und 2011 mehr als 400 Milliarden Euro neuer Schulden machte, fielen die Zinsen für Anleihen auf ein Rekordtief unterhalb der Inflationsrate. In den nächsten drei Jahren spart Deutschland damit im Vergleich zum Vorkrisenzinsniveau rund 68 Milliarden Euro.

Trotzdem ist laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung die Zustimmung der Bevölkerung zur EU rückläufig. Um es mit Worten von Nikolaus Blome zu sagen:„Einem skeptischen Publikum wärmen Zahlen nicht das Herz.“ Ungebrochen bleibt daher das Streben nach einem neuen europäischen Narrativ. Helmut Schmidt soll einmal gesagt haben: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Während die Wirtschafts- und Währungsunion bis heute als große Vision Helmut Kohls gefeiert wird, strotzt sie vor eklatanten handwerklichen Fehlern und macht aus Europa tatsächlich einen kranken Patienten. Die Rolle des europapolitischen Visionärs und Agenda-Setters, des Doktors also, der gleichzeitig europaweit anerkannt, demokratisch legitimiert und fachlich versiert sein soll, weist nicht umsonst eine erstaunlich konsequente Vakanz auf. Denn die Diskrepanz zwischen gestalterischer Vision und visionärer Gestaltung tritt immer stärker hervor. Nach diesem Muster werden Gipfel für Gipfel selbst die besten Vorschläge bis zur Unkenntlichkeit „totverhandelt“, austariert und erst dann verabschiedet, wenn keiner mehr widersprechen kann, aber eigentlich auch niemand mehr zustimmen sollte. In einem wahren Diskussionsmarathon wurde bisher viel Papier produziert, es wurden Positionen beliebig gewechselt und alte Vorschläge wieder aufgekocht. Mehr als erkaufte Zeitgewinne kamen dabei bisher nicht heraus.

Anstatt in diese Zeit aber wenigstens ein mutiges und europäisches Vorgehen zu entwickeln, werden von Seiten der Bundesregierung auf Ratsebene stur vermeintlich nationale Interessen verteidigt. Steuerunion? Ja bitte! Aber vorher muss noch ein bilaterales Steuerabkommen mit der Schweiz ausgehandelt werden, welches man einem Überarbeiten der Zinsertragsrichtlinie im Ministerrat vorzieht. Finanztransaktionssteuer? Aber gerne doch! Nur dürfen die Einnahmen unter keinen Umständen Eigenmittel der EU sein, die haben auf supranationaler Ebene nichts verloren.

Während sich die europäischen Staats- und Regierungschefs seit 2008 also von einem Krisengipfel zum anderen hangeln, gewinnt die europäische Ebene immer mehr an Bedeutung. Sei es als Kompetenzträger oder Koordinationsebene. Obwohl die gegenwärtigen Akteure Barroso, Van Rompuy oder Merkel heißen, schwebt ein Name vergangener Tage wie ein Schatten über dem derzeitigen Geschehen: Jean Monnet war nicht nur geistiger Vater der Europäischen Einigung, er war auch Namensgeber für die „Methode Monnet“. Damit wird die langsame, aber stetige Integrationsvertiefung durch das Schaffen neuer Institutionen und der fast schon schleichende, weil unvermeidbare, Souveränitätstransfer auf die europäische Ebene beschrieben. Spill-Over lässt grüßen.

Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist quer durch die deutsche Parteienlandschaft salonfähig geworden – nicht nur aus Idealismus, sondern aus Einsicht in Notwendigkeiten. Und da liegt nach wie vor der Hase im Pfeffer. Es braucht erst eine vernünftige Kommunikationsstrategie, bevor man sich in visionären Sphären und nebulösen Narrativen verliert. Es wäre Aufgabe der gewählten Volksvertreter, die Notwendigkeit der Rettungsmaßnahmen mit aller Kraft zu kommunizieren, ohne dabei die Risiken zu verschweigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war den Amerikanern auch nicht klar, ob dieses zerstörte Deutschland nicht ein Fass ohne Boden sein würde. Der Marshall-Plan wurde daraufhin eine Erfolgsgeschichte und legte den Grundstein für unseren heutigen Wohlstand.

Überhaupt können die USA an dem Punkt eine Referenz sein. Ähnlich wie Spanien leidet auch Florida unter den Folgen einer geplatzten Immobilienblase. In den Boomjahren hatte Florida niedrige Arbeitslosenzahlen, kräftiges Wachstum und hohe Steuereinnahmen. Davon landete aufgrund der amerikanischen Fiskalunion viel in Washington, wovon der Staat aktuell in Krisenzeiten profitiert. Während die US-Regierung einen Großteil der Sozialleistungen aus dem Bundesbudget bezahlt, kann Florida sich neu strukturieren.  Etwas, das hierzulande von den Krisenländern ebenfalls erwartet wird. Wir bräuchten in Europa genau so eine Art Druckausgleichsventil zwischen boomenden und stagnierenden Regionen. Es gibt nicht wenige, die Deutschland in den nächsten Jahren einen massiven Abschwung prophezeien. Wie gut wäre es dann, wenn auch wir auf die Solidarität unserer Nachbarn und Partner zählen könnten.

Eine „united union“, eine tiefere Union also ist daher weniger Ende der aktuellen Entwicklung als notwendiger Ausgangspunkt zur Bewältigung der Zukunft – einer europäischen und damit auch einer deutschen Zukunft. Hans-Dietrich Genscher hat das einmal punktgenau formuliert: „Europa ist unsere Zukunft, sonst haben wir keine.“

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