Politsatire im deutschen Fernsehen – ein Ventil für Emotionen

ThomasBoecker_HS9_PolitsatireEinVentilFuerEmotionen_01_swIn Deutschland können politische Satiresendungen wie die ZDF heute-show als Ventil für Emotionen dienen und staatstragende Bildungsbürger davor bewahren, die Bundesrepublik aus Frust und Verachtung über die Unfähigkeit ihrer Volksrepräsentanten kurz und klein zu schlagen. Doch was genau steckt hinter der Begeisterung für politische Satireformate und was bedeutet das für unsere Demokratie?

In Deutschland macht sich der Wutbürger breit, er vergisst sein eher konservativ-bürgerliches Benehmen und demonstriert aufgebracht gegen Projekte wie Stuttgart 21. In vielen Regionen formiert sich Protest gegen meterhohe Stromtrassen, die die Energiewende bringen sollen. TTIP und andere Handelsabkommen mobilisieren die unterschiedlichsten Bevölkerungsgrup-pen und rufen Empörung hervor. Diese Beispiele verdeutlichen: wo es um Macht und Politik geht, sind auch immer Emotionen im Spiel. Die Menschen sind meist persönlich von Entschei-dungen Dritter betroffen – teilweise existenziell. Es liegt in der Natur von Emotionen, dass sie beachtet und verarbeitet werden wollen. Doch die Tendenz zur Ratio¬nalisierung des politi-schen Willensbildungs¬prozesses verbannt Gefühle aus der Politik ins Private. Dabei beschränkt sich der rationale Diskurs auf Begründungen für Argu¬mente, er rückt die Generalisierung in den Vordergrund und gibt individueller Erfahrung und Betroffenheit wenig Raum. Oftmals geht es um Machtpolitik, nicht aber um das Wohl der Allgemeinheit. Der informierte Bürger kann nur zusehen, wie eine falsche Entscheidung nach der anderen getroffen wird.

Zudem fühlen sich viele Menschen in der komplexer werdenden Welt verloren. Gary S. Schaal und Felix Heidenreich stellen im APuz-Artikel Politik der Gefühle. Zur Rolle von Emotionen in der Demokratie fest, dass das Vertrauen gegenüber Po¬litikern immer wichti¬ger, zugleich jedoch immer seltener wird. Durch den raschen sozialen Wandel vermehrt sich damit in unse-rer Gesellschaft nicht nur Wissen, sondern auch Unsicherheit. Gelingt es Politikern nicht, der Bevölkerung Orientierung zu geben, dann wird aus Unsicherheit und einem mangelnden Ver-trauen in die Fähigkeit der Politikeliten nur noch eins: Ablehnung. Verachtung entsteht dann durch die Überzeugung, dass Politiker ihren sozialen Rang und das damit einhergehende Pres-tige nicht verdienen. Umfragen spiegeln genau das wider: in der Allensbacher Berufsprestige-Skala 2013 schneidet der Beruf des Politikers schlecht ab, nur 6 Prozent der Bevölkerung ach-ten ihn. Der Beruf des Arztes liegt dagegen seit Jahren unangefochten an der Spitze der Skala. In anderen Ländern steht es ähnlich schlecht um das Ansehen des Politikers: in Tschechien haben nur Putzfrauen ein noch schlechteres Image.

Wir befinden uns also zunehmend in einer Demokratiekrise, denn ohne den Glauben der Bür-ger an eine funktionierende Demokratie und einen intakten Rechtsstaat fehlt dem Staat seine wichtigste legitimatorische Grundlage. Trotz ihrer Verachtung für die Politiker des Landes wollen und können viele Bürger sich nicht gänzlich vom politischen Geschehen abwenden, daher erfreut sich die Politsatire mehr denn je großer Beliebtheit. Formate wie Extra 3, Die Anstalt oder die ZDF heute-show nehmen mittels Übertreibung, Bloßstellung und Verzerrung das Politikgeschehen auf unterhaltsame Weise in die Mangel. Rentenpolitik, Energiewirrwarr, Massenüberwachung, Herdprämie, Drohnen, Aufstieg der AFD und Abstieg der FDP- die Politik liefert dafür genug Sendematerial.

Während sich also immer mehr Menschen von den klassischen Nachrichtensendungen abwenden, kursieren im Internet und auf Smartphones täglich Meldungen wie: „Lobbyistenlobby fordert Diäten für an Gesetzgebung beteiligte Lobbyisten“ (Der Postillion, 2010) oder „Putin schickt Armee in Ostukraine, um nach verirrten russischen Soldaten zu suchen“ (Der Postilli-on, 2014). Im Fernsehen kommen die beißenden Kommentare von heute-show- Moderator Oliver Welke besonders beim jüngeren Publikum an. In einer Folge nimmt Welke die Vorstel-lungsvideos der neuen Regierung auseinander: „Was ich an den Filmen aber richtig geil finde; die Minister müssen sich bei ihrer Vorstellung immer so keck eindrehen. Das sieht so derartig uncool aus (Pause), da könnte man glatt eine ganze RTL-Serie draus machen!“ In Form des GZSZ-Einspielers erscheinen dann in Zeitlupe und engelhaft lächelnd Siggi, Franky boy, die Uschi, Peterle, Wolle und Mutti. Auch der Europawahlkampf bietet dieser Folge Gesprächs-stoff. Welke stellt fest, wie unfassbar viel in dieser Zeit im Wahlkampf auf den deutschen Markplätzen „abgeht“. Passend dazu wird Kanzlerin Angela Merkel bei einer Wahlkampfver-anstaltung eingeblendet, mit den Worten: „Viele haben gebrüllt, viele haben zugehört, beim Eiswagen war eine Schlange, das hat mich sehr beeindruckt […] und wenn dann noch gefragt wird, worum ging’s sonst noch, hat die Merkel noch irgendwas gesagt…“ Moderator Welke schaltet sich wieder ein: „…dann sagen Sie, keine Ahnung, ich habe nicht zugehört, ich stand in der Schlange am Eisstand! Meine Fresse, die Merkel, der alte Baldrian-Junkie.“ (ZDF heu-te-show, Folge vom 23. Mai 2014).

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie sprach auf der 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft zum Thema „Emotionen und Politik“ einen Wunsch aus: „Ich möchte, dass Politiker ihre Würde behalten.“ Doch welche Auswirkungen haben Satire-formate wie die heute-show auf die Politik- und Demokratiezufriedenheit? Fördert Politsatire sogar die Verachtung gegenüber Politikern?
Einerseits ja, andererseits nein. Zunächst zum Gefahrenpotenzial: nicht nur die politische Kommunikation, auch die Medien betreiben Gefühlsmanagement, indem sie Emotionen beein-flussen oder erstmalig hervorbringen. Die Begeisterung für Satire ist nicht neu, mit den Mas-senmedien und den Verbreitungsmöglichkeiten des Internets entstehen jedoch neue Dimensi-onen. Politische Satire trägt damit eine gewisse Verantwortung. Aber auch der Zuschauer soll-te den Konsum einer politischen Satiresendung gründlich reflektieren, damit kein neues Ag-gressionspotenzial entsteht.

Andererseits gefährdet nicht nur die „Unvernunft eines emotionalisierten Mobs“ die Demo-kratie, sondern viel stärker die „Lethar¬gie einer saturierten Konsumgesellschaft, die auch im Angesicht himmelschreiender Unge¬rechtigkeiten oder erkennbarer Rechtsbrüche“ keine Wut mehr empfindet, um es mit den Worten von Heidenreich und Schaal zu sagen. Die Lücke zwi-schen diesen beiden Extremen füllen Satire-Formate. Sofern die Bedingung des bewussten Konsums erfüllt ist, dient die politische Satire als Ventil für Emotionen und hilft dabei „Dampf abzulassen“. Um der unerträglichen Realität zu entkommen, flüchtet sich der interes-sierte Bürger von der heute-Sendung in die heute-show. Politsatire kanalisiert die vorhandene Verachtung gegenüber Politikern geschickt und ermöglicht es dem Zuschauer mit einer sprach-lich überspitzten Thematisierung von Missständen, „sich lustig zu machen“, und hält dadurch das Interesse an Politik und ihren Vertretern lebendig. In einer auf die Gefühlsbremse getrete-nen Konsensdemokratie wirken die Sticheleien wie eine Erlösung.

Letztendlich kann Politsatire à la heute-show bis zu einem gewissen Grad Unsicherheiten ab-bauen und Orientierung geben. Satire ist damit im Bereich der Unterhaltung förderlicher für die Demokratie als Mario Barths Frauenwitze und die völlige Abkehr von Politik und Nach-richten. Dadurch, dass Hohn und Spott zugelassen werden, kann nach einem ersten Aufschrei paradoxerweise langfristig wieder Vertrauen entstehen. Schließlich scheint der arme Politiker auf dem Bildschirm doch nicht so arrogant zu sein, sondern einfach nur menschlich. Es findet somit in gewisser Weise eine Verniedlichung statt, jedoch keinesfalls eine Verharmlosung. Wenn der Moderator der heute-show von einer Pointe zur nächsten jagt, hält sich der Zu-schauer vor Lachen den Bauch, jedoch einen informierten Bauch. Gut möglich, dass einige Zuschauer in der Sommerpause der Sendung unter Entzugserscheinungen litten. Als Verfall der Demokratie kann die derzeitige Entwicklung jedoch nicht bezeichnet werden. Das ge-schickte Spiel mit den Emotionen ist vielmehr überlebenswichtig für die Demokratie – Humor besitzt damit eine wichtige politische Funktion.

Martin Sonneborn kommentierte seinen Eintritt ins Europäische Parlament in der heute-show vom 6. Juni 2014 dagegen mit den Worten: „Mit Satire kann man die Welt nicht verändern, ich gehe deswegen jetzt in die Politik“. Hier wäre ein Augenzwinkern angebracht. Ein Satiri-ker darf eben auch als Politiker nicht ernst genommen werden.