Die Emotionen und der Wahlkampf

von Erik Flügge und Marina Karbowski

Im Wahlkampf ist plötzlich alles anders. Politiker, die sich sonst um Details kümmern, sollen große Geschichten erzählen. Aus Detailversessenen müssen Menschen werden, die andere emotional umarmen und einen klaren Kurs skizzieren.

In der Politik geht es um Details. Gesetze entstehen, indem an kleinen Formulierungen so lange gearbeitet wird, bis eine gut abgewogene Regelung beschlossen werden kann. Für alle Beteiligten haben diese Details einen emotionalen Wert. Eine kleine Änderung ist ein großer Erfolg oder eine bittere Niederlage. Außerhalb des parlamentarischen Alltags interessiert sich jedoch kaum jemand für diese Detailabwägung. Und noch viel weniger sind sie von emotionaler Bedeutung für Bürgerinnen und Bürger.

Die Wahlkampfzeit stellt deshalb eine besondere Herausforderung für den Politikbetrieb dar. Hier gilt es zu entscheiden, auf welchen relevanten Unterschied man Politik verkürzt, um eine Alternative zu bieten. Das sinnvolle Ziel der Reduktion schlägt aufgrund der eigenen Bindung an den eigenen Inhalt oft ins Gegenteil aus. In einer Wahlkampfkommission der SPD fiel im Jahr 2013 der bezeichnende Satz: „Die CDU hat fünf gute Gründe rausgegeben, da haben wir erst mal elf gemacht.“ – Damit ist im Grunde alles gesagt.

10, 20 oder 100 gute Gründe machen keinen Unterschied. Die Wahlprogramme der CSU sind traditionell sehr kurz, die Ergebnisse besonders gut. Das Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl wird wohl die 100.000-Gute-Gründe-Grenze durchbrochen haben und dennoch oder vielleicht gerade deswegen zogen am Wahlabend die Ökos lange Gesichter.

Die Detailverliebtheit der Politik ist im Wahlkampf ihre Achilles-Verse. Denn für diejenigen, die diese vielen Forderungen aufstellen, besitzen die Details einen emotionalen Wert. Für die Bevölkerung allerdings kaum – denn diese bekommt das Ringen um sie nicht mit.

tweetDenn deren emotionale Bindung bezieht sich nicht auf’s Detail, sondern auf ein Thema, eine Person oder eine Partei. Die grüne „Verbote-Partei“ ist inhaltlich absurd, aber emotional stark. Merkel als die kümmernde „Mutti“ ist kein bisschen politische Realität, aber dennoch glaubhaft. Es ist egal, wie Peer Steinbrück das Kanzlersalär bewertet und in welchem Kontext sein Stinkefinger auf dem SZ-Magazin-Cover zu sehen ist. All das wirkt auf die emotionalen Bindungen.

Emotionen lösen Entscheidungen aus. Sie bedingen, ob wir uns für oder gegen etwas positionieren. Deshalb gilt es im Wahlkampf die eigene emotionale Agenda zu setzen. Wichtig dabei ist, stets von der eigenen Emotion zu abstrahieren. Es gilt zu fragen, was der Inhalt, der mich wütend oder glücklich macht, bei meinem Gegner auslöst. Die Wahl einer Partei muss nicht kognitiv richtig sein, sie muss sich gut anfühlen. Oder kann sich jemand vorstellen, das Wähler mit den 10-gute-Gründe-Flyern jeder Partei in der Wahlkabine stehen und nochmal schnell das Angebot vergleichen, um dann eine rein rationale Entscheidung zu treffen? Downs ökonomische Theorie der Demokratie geht genau davon aus – wir wagen es zu bezweifeln.

Emotionen im Wahlkampf lassen sich kalkulieren und organisieren. Teil einer jeden gesellschaftlichen Grundordnung sind Gefühlsregeln. Beispielsweise ob ein Kanzlerkandidat auf der Bühne weinen soll, kann oder nicht darf. Dies systematisch zu erfassen und Inhalte entsprechend zu organisieren, muss Teil von Wahlkampfstrategien sein.

Gleichzeitig gehört dazu auch, den Politiker nicht mehr nur als rein rational kalkulierendes Wesen zu verstehen und darzustellen. Auch Politiker leisten Emotionsarbeit, denn zur politischen Kompetenz gehört eben auch, Mitgefühl zu haben. Politiker müssen verstehen, was die Menschen bewegt und zeigen, dass sie wirklich Anteil daran haben.

Zum Teil gelingt dies heute schon, allerdings meist auf einer eher intuitiven Ebene. Das politische Alltagsgeschäft dominiert noch stark die selbstzentrierte Strategieplanung. Viel zu oft wird dann die kleine Attacke des politischen Gegners für relevant gehalten – obwohl die Empörung darüber nur im engen Zirkel des politischen Alltags entsteht und handlungsauslösend wirkt. Außerhalb dessen zieht die Attacke vorüber, ohne die Menschen zu berühren. Umgekehrt kann die Politik relevante Themen verpassen, weil sie nicht mitbekommt, welche Themen die Menschen emotional bewegen.

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