Die verwundbare Stelle

Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist in Deutschland beschlossene Sache: Bis 2020 sollen 18 Prozent der Energieausregenerativen Ressourcen gewonnen werden. Jetzt müssen die Pläne nur noch in die Tat umgesetzt werden. Und hier kommen die Stolpersteine ins Spiel. Der wohl größte Brocken sind die Bürgerinnen und Bürger der Republik. Zwar sprechen sich laut einer Umfrage von PWC 92 Prozent der Deutschen für die Energiewende aus. Geht es aber um die konkrete Umsetzung vor Ort, sieht die Lage ganz anders aus. Große Bauprojekte wie Stromtrassen, Windparks oder Energiespeicher, die für die Energiewende wichtig sind, stoßen lokal immer wieder auf großen Widerstand. Denn in der unmittelbaren Nachbarschaft sollen solche Bauwerke dann doch nicht stehen.

Im August diesen Jahres wurde der Bau eines Pumpspeicherkraftwerks in Lamin der Operpfalz aufgegeben. Grund waren Proteste vor Ort. Ein Bürgerentscheid endete mit einem Nein zum Kraftwerk, sodass sich die zuständigen Behörden dazu gezwungen sahen, das gerade laufende Raumordnungsverfahren einzustellen. Auch der Bau neuer Stromtrassenstößt auf ähnliche Probleme. Solche Trassen sind nötig, um im Norden gewonnenen Windstrom in südliche Regionen Deutschlands zu bringen. Entlang der bislang festgelegten Route bilden sich immer wieder lokale Aktionsbündnisse gegen die langen Leitungen.

Klar ist, derartige Projekte stellen zwangsläufi g einen Eingriff in den Lebensraum von Menschen dar und führen zu Konfl ikten. Doch was steckt dahinter? Warum sind die Bürgerinnen und Bürger so empfi ndlich, wenn es um Baustellen vor ihrer Haustür geht? Dabei fi nden doch alle die Energiewende ganz gut.Hier gibt es einen Zielkonflikt.

Eine Befragung der Universität Tübingen rund um ein geplantes Pumpspeicherkraftwerk im Schwarzwald nahe der Schweizer Grenze ergab, dass die Bürgerinnen und Bürger den Zielkonfl ikt zwar erkennen, aber nicht aufl ösen. Stattdessen wird das von Mancur Olson prognostizierte Verhalten von Akteuren gegenüber kollektiven Gütern bestätigt. Die persönlichen Interessen werden den kollektiven Interessen vorgezogen. Es lässt sich hier auch vom St. Floriansprinzip sprechen. Es geht auf eine volkstümliche Weisheit zurück. Der vermeintlich fromme Spruch lautet: „Heiliger Sankt Florian, verschon‘ mein Haus, zünd‘ andere an!“

Den Tübinger Forschern gelang es, eine Reihe von Schlüssen aus der Befragung zu ziehen. So gab es bei den Bürgerinnen und Bürgern die Vermutung gegenüberPolitik und Behörden, dass diese aus eigenen Interessen das Bauvorhaben unterstützen. Das führt zu Misstrauen und Ablehnung. Dennoch ist es möglich, das verloren gegangene Vertrauen in die Politik wiederherzustellen. Lässt man die von einem Bauprojekt betroffenen Menschen aktiv die Planung mitgestalten, stehen sie diesem viel offener gegenüber. So wünschten sich die Anwohner des geplanten Pumpspeicherkraftwerk im Schwarzwald vor allem, Gehör zu finden und in die Planung mit einbezogen zu werden.

Diverse Unsicherheiten bezüglich des Bauvorhabens führen ebenfalls zur Ablehnung. Hier zeigen sich die Befragten besorgt, die sehr nahe an den geplanten Standorten der großen Wasserbecken des Pumpspeicherkraftwerks wohnen. Sie fürchten bei einem Dammbruch Haus und Hof zu verlieren. Diese Sorgen können durch möglichst große Transparenz in der Planungsphase eines Bauprojekts verringert werden. Gewährt man den Betroffenen Einblick in die Baupläne, so hilft das diffuse Ängste auszuräumen. Unterstützt wird solch ein offener Umgang mit den Betroffenen durch die Bereitstellung glaubhafter und unabhängiger Informationen. Am besten sogar durch unabhängige Dritte, die das Vertrauen der Bevölkerung genießen. Das ermöglicht eine Kontrolle und Bewertung der beim Bau ergriffenen Maßnahmen und führt zum Abbau von Unsicherheiten in der Bevölkerung. Und auch die Zusicherung rechtlich verbindlicher Garantien kann die Glaubwürdigkeit des Bauherren erhöhen, Misstrauen und Ängste der Bevölkerung abbauen und die Akzeptanz für das Projekt steigern.

Aber nicht immer ist eine solche Überzeugungsarbeit nötig. Sogenannte Energiegenossenschaften haben bewiesen, dass eine finanzielle Beteiligung der Anwohner wahre Wunder bewirken kann. So wie in der Gemeinde Reußenköge in Schleswig- Holstein. Hier entstandin den 80er Jahren ein immer weiter wachsender Windpark. Mittlerweile stehen auf der Fläche der Gemeinde über 70 Windräder. Das Besondere daran, fast alle der 330 Einwohner haben sich finanziell am Bau und Betrieb des Windparks beteiligt. Den Bürgerinnen und Bürgern gehören die Anlagen, der Gemeinde das Land auf dem sie stehen. Das beschert beidenParteien einen ungeahnten Wohlstand. Die kleine Gemeinde am Meer hat einen Haushalt von 2 Millionen Euro. An Protest gegen Windräder denkt hier keiner.

Bedingung für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende ist neben dem politischen Willen die Akzeptanz in der Bevölkerung. Ohne diese werden sich Bürgerproteste als eine große Schwachstelle bei der Durchführung der Energiewende herausstellen – als die Achillesferse der Energiewende.