ein tabu im sport – immer noch?

Im Gespräch mit Volker Beck (MdB) über die Tabuisierung von Homosexualität im Sport, die Gay Games 2010 in Köln und der Anspruch an politische Akteure, Sportfunktionäre und Medien offener mit diesem Thema umzugehen.

die Fragen stellte Isabelle Sonnenfeld

Herr Beck, warum wird über Homosexualität im Sport in den Massenmedien und in der Politik so wenig gesprochen?

Für viele Funktionäre ist das Thema Ausgrenzung und Diskriminierung im Sport nicht präsent genug. Beim Sport geht es ja scheinbar nur um den Spaß am Spiel, in dem angeblich nur die Leistung zählt. Man „muss sich ganz aufs Spiel konzentrieren“, da stören dann solche angeblichen Nebenfragen. Dabei ist die Frage eigentlich zentral: Wie schafft der Sport es, dass sich alle gemeinsam wohl fühlen und niemand ausgegrenzt wird? Es liegt doch im ureigenen Interesse der Vereine, dass alle Menschen mit ihren Talenten gefördert werden – egal welche Hautfarbe oder eben sexuelle Identität sie haben.

Wie würden Sie den Grad der Akzeptanz von Homosexuellen seitens der Gesellschaft und der Politik im Jahr 2010 in Deutschland einschätzen? Welche Rolle spielt Guido Westerwelle als Außenminister in dieser Debatte?

Unsere Gesellschaft ist in den letzten 12 Jahren toleranter geworden – zumindest die Mitte der Gesellschaft. An den Rändern wächst dagegen offenbar wieder die Bereitschaft zur Gewalt, wie uns leider fast täglich Berichte von homophoben Übergriffen aus allen Großstädten zeigen. Der Hass auf Schwule und Lesben ist immer noch da, auch wenn er sich nicht mehr so häufig in Talksendungen zeigt. Hier bleibt es wichtig, Aufklärung zu betreiben und auch durch offensives Selbstbewusstsein Vorbild zu sein für junge Menschen. Ein schwuler Außenminister hätte hier eine große Chance – aber ich glaube, ein offen schwuler Fußballspieler in der Nationalmannschaft würde noch mehr bewirken.

Kann ein Breitensportfest mit Teilnehmern aus mehr als 70 Ländern dazu beitragen, dass Spitzensportler offener zu ihrer sexuellen Orientierung stehen? Welche Rolle spielen die Medien in dieser Hinsicht?

 

Durch die Gay Games wird öffentlichkeitswirksam das Vorurteil entkräftet, dass sich Sport und Homosexualität widersprechen und dass es keine guten lesbischen oder schwulen Spitzensportler gibt. Solche Veranstaltungen wirken sich also positiv auf die Akzeptanz von Schwulen und Lesben im Breitensport aus. Erst wenn es in der Gesellschaft und in den Sportvereinen akzeptiert wird, dass lesbische und schwule Athletinnen und Athleten selbstverständlich Teil der Teams sind, werden sich auch mehr und mehr Spitzensportler zu einem Outing durchringen können. Derzeit tun sie das eher nach Beendigung ihrer Karriere. Vielleicht können sich bald schon mehr Sportler während ihrer Laufbahn dazu durchringen. Aber der Diskurs über Homosexualität im Sport muss von den Sportverbänden aufgenommen und weitergeführt werden. Der Deutsche Fußball Bund hat unter seinem Präsidenten Zwanziger sehr viel hinzugelernt. Heute wird in der Fußballfachwelt ganz offen darüber geredet, dass es selbstverständlich schwule Fußballer in der 1. Bundesliga gibt, die sich eben nur noch nicht trauen, sich zu outen. Nicht das „ob“ sondern das „wann“ wird debattiert. Ekelhaft, dass Ballacks Manager damit aber Stimmung zu machen versucht! Die lokalen Medien in Köln haben die Gay Games sehr umfassend begleitet. Dabei kommt ihnen eine Schlüsselposition zu. Je positiver und je umfassender die Medien über lesbische und schwule Sportler berichten, desto schneller erhöht sich deren Akzeptanz.

Inwieweit können die Gay Games 2010 in Köln als Vorbild für internationale Sportveranstaltungen dienen? Kann eine Veranstaltung wie diese den Diskurs über Diskriminierung und Verfolgungen von Homosexuellen, die in vielen Ländern dieser Welt noch kein Ende gefunden haben, positiv beeinflussen, indem auch offener über die Thematik gesprochen wird?

 

Die Gay Games in Köln sind ein absolutes Vorbild für internationale Sportveranstaltungen. Sie sind von den Kölnerinnen und Kölnern sehr positiv und offen aufgenommen worden. Das hat alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer äußerst überrascht und begeistert. Die Weltoffenheit und Toleranz dieser Stadt ist ein Vorbild – weltweit. Internationale Sportveranstaltungen dürfen niemanden diskriminieren, sei es aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts, der Religion oder eben wegen der Sexualität. Hier hat Köln Maßstäbe gesetzt. Die Gay Games haben die Diskriminierung der teilnehmenden Sportlerinnen und Sportler umfassend thematisiert. Nicht überall können Lesben und Schwule so offen zu ihrer sexuellen Identität stehen, wie zum Beispiel in Köln. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten während der Eröffnungszeremonie nicht öffentlich für ihr Heimatland auftreten – aus Angst vor Verfolgung. Da wurde auch den Schwulen und Lesben im Publikum deutlich, dass die Akzeptanz weltweit noch eher die Ausnahme als eine Selbstverständlichkeit ist. Die Organisatoren der Gay Games haben für Teilnehmer aus Ländern, in denen Lesben und Schwule verfolgt oder diskriminiert werden, speziell ein „Outreach“-Programm initiiert, um gerade diesen Sportlern die Teilnahme zu ermöglichen. Generell aber würde ich mir wünschen, dass dieses Thema nicht nur während der Gay Games diskutiert wird und kurz danach wieder in Vergessenheit gerät – gerade auch innerhalb der schwul-lesbischen Community. International müssen wir uns mehr für die Menschenrechte von Schwulen und Lesben einsetzen. Dort sehe ich aber auch unseren Außenminister in der Pflicht, sich für die universellen Menschenreche konsequenter einzusetzen und verfolgte Menschenrechtsverteidiger in Deutschland aufzunehmen.

Kritische Stimmen behaupteten im Vorfeld der Gay Games 2010, dass dieses Breitensportfest eher eine Gegen-Olympiade sei, die die Akzeptanzlücke innerhalb der Gesellschaft nicht schließt, sondern die eigene Ausgrenzung dieser Spitzensportler von der Gesellschaft fördert?

Die Gay Games sind keine Gegenveranstaltung sondern ein zusätzliches Kultur- und Sportevent, dass integrativ wirkt. Eben weil sie niemanden ausgrenzen. Lesben und Schwule haben hier Seite an Seite mit Heterosexuellen um Medaillen gekämpft. Das Vorurteil stimmt also nicht, dass lesbisch-schwule Veranstaltungen Heteros ausgrenzen würden. Übrigens haben sehr viele heterosexuelle Kölner nicht nur die Sport- und die Kulturveranstaltungen als Zuschauer besucht. Sehr viele haben die Games als „Volunteers“ aktiv unterstützt, gerade auch von Studenten der Kölner Sporthochschule. Das Vorurteil, dass solche Veranstaltungen die Ausgrenzung fördern, ist also unhaltbar.

Wie wir gehört haben ist Homosexualität im Breitensport kein absolutes Tabuthema mehr, warum stellt aber der Fußball in der gesamten Debatte eine Ausnahme dar? Wie kann man die Sportpolitik im Bereich des Fußballs ändern?

Beim Fußball treffen „echte Kerle“ aufeinander, die miteinander weinen und jubeln können. Es ist eben eine der letzten Bastionen von echter Männlichkeit. Eine Rolle spielt sicher auch, dass es sich um einen Mannschaftssport handelt – inklusive gemeinsames Wohnen in Trainingslagern und gemeinsamen Kabinengängen. Viele offen schwule oder lesbische SportlerInnen kommen ja eher aus den Individualsportarten, wie Tennis oder Mountainbiking. Der DFB ist ja an sich auf einem guten Weg, wenn er Homophobie im Fußball anspricht. Er sollte klar machen, dass es Unterstützung gibt für Sportler die sich outen wollen. Und ich würde mir wünschen, dass es mehr Aufklärungsseminare für Trainer gerade im Breitensport gibt. Die wirkliche Diskriminierung findet leider in den unteren Ligen und bei den Jugendlichen statt. Da müssen die Verantwortlichen sensibel sein und nicht weghören, wenn der Mitspieler mal wieder als „schwule Sau“ beschimpft wird.

Die letzte Frage bezieht sich auf den Gestaltungsraum der Politik. Was muss und kann die Politik mehr tun, damit Homosexuelle in der Gesellschaft noch stärker akzeptiert werden?

Wir brauchen einen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie. Die Aufklärung über Homosexualität muss aus dem Biologieunterricht in den ganz normalen Schulalltag integriert werden. Schulbücher sollten ein modernes Familienbild transportieren, dass eben mehr umfasst als nur „Mama, Papa, Kind“. Die Polizei sollte sensibler werden, wenn es um Gewalt gegen Schwule und Lesben geht. Und natürlich muss die Politik vorangehen, indem wir endlich die volle rechtliche Gleichstellung herstellen – inklusive der Anerkennung von Regenbogenfamilien etwa durch das Adoptionsrecht.

Herr Beck, vielen Dank für das Gespräch.

Volker Beck (MdB)

ist erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Mitglied im Parteirat der Grünen und menschenrechtspolitischer Sprecher der Fraktion. Für die Stärkung der Bürgerrechte, die Verteidigung des Rechtsstaates, die rechtliche Gleichstellung und gegen die Diskriminierung gesellschaftlicher Minderheiten setzt er sich seit vielen Jahren vehement ein.