abpfiff nach 90 minuten – doch wer bezahlt die dritte halbzeit?

12:30 Uhr – Einfahrt in den Bahnhof. Endlich raus aus dem Zug. Empfang von einer Hundertschaft. Sie begleitet die Masse Richtung Stadion. Je näher das Stadion kommt, desto größer ist das Polizeiaufgebot. Die Stimmung ist angespannt. Schließlich gilt es die Schmach aus dem Heimspiel in der Hinrunde wettzumachen. 16:47 Uhr – Tor! Leider für die anderen. 10 Minuten später das 2:0. Der Frust ist groß im Fanblock. Die Stimmung schaukelt sich hoch. Feuerwerkskörper fliegen Richtung Rasen. Ordner versuchen ihr Bestes und doch gibt es Rangeleien. Die Polizei marschiert in den Block. Dieses Mal eine andere Hundertschaft. Die Situation ist schnell aufgelöst, es gibt einige Festnahmen. Die Stimmung ist weiter angespannt. Die Fans der anderen tun das Ihrige für die hitzige Atmosphäre.

von Alexander Gutmann

Viele Akteure, zwei Meinungen

787 Spiele, 9.174 freiheitsentziehende Maßnahmen, 6.030 eingeleitete Strafverfahren, 1.525.941 Arbeitsstunden der Polizeieinheiten der Länder und der Bundespolizei zur unmittelbaren Einsatzbewältigung – Tendenz steigend. Das sind die Ergebnisse des aktuellsten „Jahresbericht Fußball Saison 2008/09“, in dem die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) jährlich Einsatzstatistiken zu den Wettbewerbsspielen der 36 Profiklubs der ersten beiden Fußballbundesligen und den Länderspielen führt. Dabei beschränkt sich die Arbeit für die Sicherheit im deutschen Fußball nicht nur auf Polizeieinsätze im direkten Stadionumfeld eines Spiels. So werden beispielsweise im Rahmen mancher Spiele zusätzlich auch Bahnhöfe und Autobahnraststätten von der Polizei bewacht. Bundesweit sind mehr als hundert sogenannte „szenekundige Beamte“ (SKB) zur Gewaltprävention aktiv. Verfahrens- und Verwaltungskosten fallen selbstverständlich zu guter Letzt auch an. Dieses Kostenpaket wird aus Steuern finanziert. Es gibt keine direkte Kostenbeteiligung der Fußballvereine – eine Situation, die in den vergangenen Jahren immer wieder zu heftigen Diskussionen zwischen den beteiligten Akteuren geführt hat. „Die Polizei“ steht dabei keineswegs geschlossen auf einer Seite. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) schließt sich dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Deutschen Fußball Liga (DFL), in der die Profiklubs organisiert sind, an und positioniert sich gegen eine Beteiligung der Vereine. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hingegen tritt unter ihrem Vorsitzenden Rainer Wendt, der sich als einer der Wortführer in der Debatte etabliert hat, massiv für eine Beteiligung der Vereine ein. Dabei beruft sie sich unter anderem auf die berechnete Höhe der Kosten. Das Ministerium für Inneres und Kommunales in Nordrhein-Westfalen, wo auch die ZIS angesiedelt ist, distanziert sich von einer solchen Kostenumlegung. Zu differenziert und komplex seien die Strukturen, um valide Kosten berechnen und umlegen zu können: Was ist Regel-, was Sonderdienst? Wie sind eingesetzte Ressourcen wie Fahrzeuge zu bewerten? Dies sind nur zwei von vielen Fragen, die sich beim Versuch einer Kostenberechnung stellen.

50 Millionen Euro Gebühr

„Wenn sie ihren Spielern Millionen-Gagen zahlen können, können sie auch einen Teil der Polizeikosten tragen.“ Diese Aussage des Hamburger CDU-Politikers Karl-Heinz Warnholz verdeutlicht die Grundposition der Befürworter einer Kostenbeteiligung der Bundesliga Klubs. Vereine, die hohe Millionenumsätze machen und teilweise an der Börse notiert sind, sind eben keine gemeinnützigen Vereine mehr, sondern reine Wirtschaftsunternehmen. Demnach müssten sie auch, ähnlich wie Transportunternehmen, für die Inanspruchnahme polizeilicher Dienste zusätzlich zur Kasse gebeten werden. Sicherheit müsse also Teil der Betriebskosten sein. Die DPolG fordert eine Gebühr, für die nicht die einzelnen Vereine aufkommen sollen, sondern die DFL. 100 Millionen Euro kosteten die Einsätze pro Jahr, deshalb sei eine Pauschalgebühr von jährlich 50 Millionen Euro „ein echter Freundschaftspreis“, so Rainer Wendt.

Der Appell geht an die Politik, denn mit einer freiwilligen Abgabe der DFL ist nicht zu rechnen. Neue Gesetze müssten also her. Laut Rainer Wendt würden diese Gesetze nur blockiert, weil die Politiker ihre Plätze auf den Ehrentribünen nicht riskieren wollten.

 

Keine Auftragspolizei

Szenenwechsel. Vertreter von DFB und DFL beanspruchen das gleiche Recht auf polizeiliche Unterstützung wie andere Veranstalter auch. Dabei wird von einer stark normativen Seite argumentiert. Die Polizei hat den Auftrag für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Es wird immer wieder auf die Gefahr hingewiesen, dass die Einrichtung eines Gebührenmodells die öffentliche Sicherheit von rein wirtschaftlichen Interessen abhängig mache. „Wenn Sicherheit in Deutschland davon abhängt, ob man sie bezahlen kann, dann wäre dies mehr als fatal“, konstatierte DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach im Zuge der Debatte vor der Saison 2008/09. Die GdP fügt hinzu, dass sich ein Großteil der Einsätze außerhalb der Stadien abspiele und somit erst recht nicht im Aufgabenbereich privater Akteure zu verorten sei.

Aber auch mit wirtschaftlichen Argumenten wird versucht sich gegen eine Kostenbeteiligung zu rechtfertigen. Denn die erwähnten Umsätze erzeugen wiederum Steuern im hohen dreistelligen Millionenbereich, die die Vereine jährlich an den Staat entrichten. Eine indirekte Kostenbeteiligung ist dadurch also gegeben. Ebenfalls wird argumentiert, dass die Klubs darüber hinaus jährlich mehrere Millionen Euro in die Ordnungsdienste der Stadien investieren. Auch die wirtschaftliche Relevanz des Fußballs, zum Beispiel in puncto Arbeitsplatzsicherung, wird hervorgehoben.

Als Ergebnis will man von Seiten des DFB und der DFL die Debatte von der Finanzierung der Folgen auf deren Ursachen lenken. Die Gewalttäter nutzten den Fußball nur als Bühne. Es ginge vielmehr um die Gewalt an sich. Daher müsse hier der Hebel angesetzt werden.

Ursachen- oder Folgenbekämpfung?

In einem Punkt sind sich beide Seiten offensichtlich einig. Eine Gebühr nach geltendem Recht ist nicht umzusetzen. Dafür wären politische Entscheidungen für neue Gesetze von Nöten. Aber ist dieses aus normativer wie aus wirtschaftlicher Sicht umstrittene Unterfangen unumgänglich? Gibt es keine Möglichkeit das Problem anstelle dessen Folgen effektiv anzugehen?

Ein Argument Wendts, es gebe kein Grundrecht auf Fußball, kann nicht standhalten, da es nicht den Kern trifft. Es geht nicht um ein Grundrecht auf Fußball, sondern um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Hierfür liegt das Gewaltmonopol beim Staat. Deshalb ist jeglichen Kommerzialisierungstendenzen in der Gewährleistung von Sicherheit kritisch zu begegnen.

Der Fußball bietet aufgrund der Menge und der Größe der Einzelveranstaltungen eine im Vergleich zu anderen Veranstaltungen überproportional große Bühne für Gewalt. Der wirtschaftliche Nutzen des Fußballs, auch als Einnahmequelle für den Staat, ist im Vergleich zu anderen Veranstaltungen aber ebenfalls überproportional groß. Daher darf es nicht in erster Linie um die Finanzierung der Folgen gehen, sondern vielmehr um eine konsequente Auseinandersetzung mit den Ursachen. Hierfür ist eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Fußball, Polizei und Politik unerlässlich. Ein gutes Beispiel ist das Land Sachsen: durch eine verstärkte Unterstützung von Fanprojekten zur Prävention seitens des DFB und des Staates konnte die Gewalt in den vergangen Jahren deutlich gemindert werden. Dieser Schulterschluss kann und muss noch in weitere Bereiche vordringen. So fordert Rainer Wendt ein Mitspracherecht der Polizei bei den Spielansetzungen – eine Forderung, der unbedingt nachgegangen werden sollte. Die Vermeidung von sogenannten Risikospielen am Abend sowie von Spieltagen, an denen wie in diesem Jahr gleich fünf brisante Derbys in den ersten beiden Ligen an einem Wochenende stattfinden, gehören eben auch zur Gewaltprävention. Darüber hinaus muss über härtere Strafen, insbesondere für Wiederholungstäter, diskutiert werden. Auch Abschreckung ist Prävention. Das Ziel in der Debatte über Gewalt im Fußball muss also sein, eine Situation zu schaffen, die erst gar keinen Anlass für eine ausufernde Finanzierung der Folgen bietet, nämlich eine Verbesserung im Kern des Problems: eine Verminderung der Gewalt im Voraus.

17:26 Uhr – Das Spiel ist verloren. Frust überall. Aus dem Block in die Arme der Polizei. Eskorte zum Bahnhof. Auf dem Weg das hiesige Kneipenviertel. Es ist weitestgehend abgeriegelt. Die Polizei versucht eine Mischung der Fangruppen zu verhindern. Am Bahnhof ist die Truppe nicht mehr komplett. Es gab wohl wieder Festnahmen. Oder einige sind doch ins Vergnügungsviertel gelangt. Das wird eine lange Nacht. Auch für die Polizei. Wer bezahlt das eigentlich alles?

Alexander Gutmann

ist Chefredakteur des hammelsprung und studiert seit Oktober 2009 den Masterstudiengang Politikmanagement an der NRW School of Governance. Praxiserfahrung sammelte er unter anderem im Deutschen Bundestag, bei einer Kommunikationsberatung und einem DAX-Konzern. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich der politischen Kommunikation.