cricket als entspannungspolitik – wie sport vertrauen zwischen zwei erzfeinden schaffen kann

Sport kann als vertrauensbildende Maßnahme bei interstaatlichen Konflikten erfolgreich sein. Das Beispiel der Cricket-Diplomatie zwischen Indien und Pakistan im Jahr 2004 zeigt dies auf erstaunliche Weise.

Wer den Film Forrest Gump ansieht, erlebt mehrere Dekaden Zeitgeschichte gerafft in 136 Minuten, verpackt im Leben eines Menschen. Eines der vielen Abenteuer des Protagonisten, ist das tägliche Tischtennis Training bei der US Armee und die damit verbundene Reise zu einem Turnier nach China. Es scheint ein wenig absurd, befinden sich China und die USA doch im Kalten Krieg. Tatsächlich wird dabei aber auf die sogenannte Ping-Pong Diplomatie angespielt. Während der Tischtennis-Weltmeisterschaft 1971 in Japan wurde das amerikanische Team nach China eingeladen. Die diplomatischen Beziehungen zwischen China und den USA entspannten sich dadurch zusehends, denn wo zuvor Eiszeit herrschte folgte Tauwetter: Spitzenpolitiker beider Länder trafen sich zu Gesprächen. Es handelt sich also nicht um eine Fiktion aus der Feder eines Drehbuchautoren, sondern um ein historisches Faktum und ein Beispiel dafür, dass Sport zur Entspannung in der internationalen Politik beitragen kann. In Anlehnung an diese durch Sport induzierte Entspannungspolitik, wurde die Cricket-Tour der indischen Nationalmannschaft in Pakistan 2004 als Cricket-Diplomatie bezeichnet. Erstmals seit 1989 verabredeten sich die beiden Länder zu einer Serie von Cricket-Spielen, der soganannten „Friendship-Serie“, die in verschiedenen pakistanischen Großstädten ausgetragen wurden.

Cricket in Indien und Pakistan

Auf der Website des Magazins für Fußballkultur „11 Freunde“ wird Cricket den ‚hassenswertesten‘ Sportarten zugeordnet. Die Unverständlichkeit der Regeln und die vermeintliche Langeweile wird angeprangert. In Pakistan und Indien hingegen spielt der hierzulande omnipräsente Fußball so gut wie keine Rolle und Cricket geht über alles. „Ich bin nicht nur ein Cricket-Fan. Ich bin mehr als das!“ So beschreibt Rishav, ein 22-jähriger Student aus Kalkutta, sein Verhältins zum Cricket. Für ihn sei diese Sportart ein Teil seines Lebens, ohne den er nicht leben könne und für die meisten Inder sei es fast wie eine Religion. Ein derart emotionales Verhältnis verbinden viele Inder mit Cricket. Für sie ist es essentiell, dass ihre Nationalmannschaft gewinnt. Dies gilt besonders, wenn Indien auf Pakistan trifft, denn dann schaukeln sich Leidenschaft und Emotionen auf beiden Seiten auf ein erstaunliches Niveau hoch. Es wird, so Rishav, „fast zu einer Angelegenheit auf Leben und Tod“. Grund für dieses Phänomen ist wohl, dass die Begegnungen der beiden Mannschaften immer wieder ideologisch aufgeladen werden. Dabei schwingt jedesmal eine politische Dimension mit.

Das Verhältnis der beiden Staaten ist geprägt durch eine schwierige Vergangenheit. Der bis heute andauernde Territorialkonflikt um die Region Kashmir, vier Kriege, die Rivalität um die nukleare Vorherrschaft in den 1990ern und die Angst Indiens vor Infiltration durch Extremisten, haben ihre Spuren hinterlassen.

Über Dekaden hinweg haben gegenseitiges Misstrauen und nationalistische Propaganda auf Pakistaner und Inder eingewirkt und so die Menschen der jeweils anderen Nationalität dehumanisiert. Auch deshalb sind Cricket-Begegnungen zwischen den beiden Ländern von besonderer Intensität. Im Vorfeld der Cricket-Tournee in Pakistan 2004 wurde aufgeregt über das Für und Wider der sportlichen Veranstaltungen debattiert. Bedenken um die Sicherheit des Teams und um die Folgen eines eventuellen terroristischen Anschlags für die diplomatischen Beziehungen wurden genauso diskutiert, wie die Chancen für den Friedensprozess. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Bevölkerungen beider Länder ihren politischen Führern scheinbar schon einen Schritt voraus waren.

Friede, Freude, Cricket

Die Tournee durch Pakistan ging durch verschiedene Großstädte und begann in Karachi. Fünf Spiele waren angesetzt, zwei davon gewann die pakistanische Mannschaft, die übrigen drei die indische. Eingedenk des bereits beschriebenen schwierigen Verhältnisses der beiden Länder sowie der Intensität der Emotionen, die mit dem Spiel verbunden sind, läge nun die Vermutung nahe, dass der Unterlegene in einer spontanen Eruption von Wut und Enttäuschung indische Flaggen verbrennen und den Erzfeind lautstark beschimpfen würde. Doch weit gefehlt, das Gegenteil war der Fall. Die gesamte Tour verlief friedlich. Nach der ersten Begegnung erhoben sich die Stadionbesucher sogar zu Standing Ovations für die Leistung beider Teams. Nicht nur, dass die indische Mannschaft an jedem Austragungsort herzlich empfangen wurde, auch die Besucher der Spiele standen sich alles andere als feindselig gegenüber. Vereinzelt waren sogar Fahnen zu sehen, die aus den zusammengenähten Flaggen der beiden Nationen bestanden. Es herrschte eine Atmosphäre von Freundlichkeit und Gastfreundschaft, die sich auch darin ausdrückte, dass viele unter den tausenden indischen Besuchern aufgrund ihrer Nationalität Rabatte in Restaurants und Geschäften bekamen. Zudem war das indische Team vom damaligen Premierminister Vajpayee mit den Worten nach Pakistan verabschiedet worden, sie sollen nicht nur die Spiele gewinnen, sondern auch die Herzen der Menschen. Das indische Team zeigte in Pakistan letztendlich auch nicht nur ihr sportliches Können, vielmehr initiierten sie eine Kampagne zur Bekämpfung der gegenseitigen Feindseligkeit.

Ein „run“ entfernt von der Konfliktbeilegung?

Bei allen Differenzen, die beide Länder teilen: Die Völker verbindet die Leidenschaft für Cricket. Arme und Reiche, Muslime und Hindus – sie alle bilden mit ihrer Begeisterung für Cricket den Erfolg dieser Sportart. Die positive Atmosphäre, die sportliche Fairness und all die kleinen und größeren Gesten der Gastfreundschaft in Pakistan wurden auch über die Medien bis nach Indien getragen. Tausende von Indern kamen als pakistanische Botschafter zurück in ihr Heimatland. Der indische Schriftsteller Amit Verma schreibt in einem Artikel für den Wisden Asia Cricket: „The more we see of our opponents, the more we are exposed to their humanness, and the less the mythic differences seem.“ Der zwischenmenschliche Kontakt gibt dem früheren Feind sein menschliches Gesicht wieder – eine Rehumanisierung tritt ein.

Beide Cricket-Teams haben mit der Tournee 2004 als Schlichter im Streit zwischen beiden Staaten fungiert und das jeweilige Bild vom Feind in Ansätzen harmonisiert: „Sie begannen zu begreifen, dass die pakistanischen Leute nicht schlecht oder feindselig waren. Es sind die Politiker beider Länder, die all diese Arten von Bitterkeit zwischen den Menschen schufen“, so Rishavs Urteil über die Auswirkung der Cricket-Tour. Über die Erfolge für die Völkerverständigung hinaus boten die sportlichen Veranstaltungen Gelegenheitsfenster für informelle Begegnungen zwischen Politikern beider Nationen. Auf solchen informellen, lockeren Treffen lastet auf den Konfliktparteien nicht der Druck und die Erwartungshaltung offizieller, internationaler Gipfel.

Die Cricket-Diplomatie fand ihren Höhepunkt im Jahr 2005, als sich die pakistanische Cricket-Mannschaft auf einer Indien-Tournee befand. Pakistans Präsident Musharraf traf den indischen Premierminister Singh im Rahmen einer Begegnung ihrer beiden Nationalmannschaften. Es war das erste Zusammentreffen auf indischem Boden seit vier Jahren.

Die Cricket-Tourneen können als Teil der Bemühungen der beiden Länder zur Normalisierung der diplomatischen Beziehungen gesehen werden, die schon vor Beginn der sportlichen Begegnungen 2004 eingesetzt hatten. Der Sport hat wohl eher eine günstige Atmosphäre für Verhandlungen erzeugt, als zu einem endgültigen diplomatischen Durchbruch geführt. Das Beispiel Cricket-Diplomatie zeigt jedoch, dass Sport zur Versöhnung zweier Völker und zur Entspannung von diplomatischen Beziehungen beitragen kann. Als vertrauensbildende Maßnahme war sie ein Erfolg. Wann aber Sport eine solche Funktion einnehmen kann, bleibt im Dunkeln, denn die Geschichte indischpakistanischer Cricket-Begegnungen hat oft genug gezeigt, dass es eben auch zu aktiven Feindseligkeiten kommen kann. Dies ging von verbalen Beschimpfungen, über gewalttätige Unruhen in Stadien bis hin zu kommunalen Ausschreitungen zwischen Hindus und Moslems, wie etwa in der Hauptstadt des indischen Bundesstaats Gujarat 2003. Vor allem können Cricket-Spiele auch das Ziel von Terrorattacken sein, wie der Anschlag auf die Sri-Lankische Mannschaft in Pakistan 2009 bewiesen hat. Es scheint als müssten besondere Umstände und ein guter Wille bei beiden Konfliktparteien nötig sein, damit Entspannungspolitik via Sport gelingen kann.

Maximilian Hösl

studiert den Masterstudiengang Politikmanagement der NRW School of Governance. An der Universität Regensburg absolvierte er den B.A. Politik- und Medienwissenschaft. Er absolvierte ein Auslandssemester an der American University in Washington D.C. und konnte u.a. bei der NGO Transparency International Deutschland e.V. und der Landesgeschäftsstelle der Partei Bündnis’90/Die Grünen in Düsseldorf Praxiserfahrung sammeln. Schwerpunkte seiner bisherigen Studien waren politische Kommunikation und Konfliktforschung.