fairplay made in china

Die Griechen erfanden nicht nur die Demokratie, sondern auch die „Olympische Idee“. Zwei Ideale, die seither untrennbar mit den Olympischen Spielen verbunden sind. Doch im Jahr 2008 wurde beides auf eine harte Probe gestellt.

Es ist der 8. August 2008. Die Olympischen Sommerspiele beginnen mit einer beeindruckenden und störungsfreien Eröffnungsshow. Nicht selbstverständlich, denn gerade die letzten Monate waren geprägt durch weltweite Boykottaufrufe und zunehmend brutale Proteste von Menschenrechtlern, Tibetern und deren Sympathisanten. Dass die Olympischen Spiele ausgerechnet in dem von Menschenrechtsverletzungen gekennzeichneten China stattfinden, ist für viele Akteure nicht nur unbegreiflich, sondern auch eine einmalige Gelegenheit, auf die aktuelle Situation in der Volksrepublik aufmerksam zu machen. Vor allem die seit Jahrhunderten andauernde Unterdrückung der Tibeter gerät in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Das traditionsreiche Sportereignis fungiert als Bühne für eine politische Grundsatzdebatte über Menschenrechte und Demokratie. Es stellt sich die Frage: Welche politische Dimension hat der Sport?

Der gefährliche Riese

Ein Leben in der heutigen Konsumgesellschaft ist ohne die Exporte aus China kaum mehr denkbar. Experten sind sich einig, dass schon in wenigen Jahren wirtschaftlich starke Nationen wie Japan und die USA hinter China zurückbleiben. Momentan scheint es, als könnte nichts den Aufstieg des „Drachens“ aufhalten, vor allem nicht seine Kritiker.

Weltweit ist das Problem der Menschenrechte in China bekannt. In der Volksrepublik gilt jedoch der Grundsatz, dass alle von der offiziellen Politik abweichenden Meinungen nicht geduldet und alle Bestrebungen, die die Machthabenden als Gefährdung der bestehenden Ordnung ansehen, konsequent unterdrückt werden. Dies endet nicht selten damit, dass Oppositionelle oder Angehörige religiöser Gemeinschaften als Opfer unfairer Gerichtsprozesse ins Gefängnis gesperrt werden. China als Rechtsstaat zu bezeichnen wäre undenkbar. Man denke gerade nur an die Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an den chinesischen Dessidenten Liu Xiaobo, die für die Führung in Peking einer „schallenden Ohrfeige“ gleichkommt. Nicht nur in der Unterdrückung der Meinungsfreiheit, sondern auch in der Beschneidung der allgemeinen Rechte eines Einzelnen zugunsten der Gesamtgesellschaft, zeigt ein Charakteristikum kommunistischer Systeme.

Die Todesstrafe ist ein weiteres Instrument, das aus menschenrechtlichen und ethischen Gründen zu hinterfragen ist. Sie wird in der Volksrepublik nicht nur bei Gewaltverbrechen verhängt, wie in den Vereinigten Staaten, sondern auch bei vielen anderen, weniger schwer wiegenden Delikten. Die Zahl der Vollstreckungen wird offiziell auf 8.000 pro Jahr beziffert, Experten gehen jedoch von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Die Exportnation ist somit Spitzenreiter hinsichtlich staatlich durchgeführter Hinrichtungen.

In Tibet wird vornehmlich das Menschenrecht der Religionsfreiheit verletzt. Immer stärker setzen sich chinesische Behörden hier für effektivere Sicherheitsmaßnahmen ein, um Unabhängigkeitsdemonstrationen abzuwehren und religiöse Aktivitäten einzugrenzen. Die politische Führung ist intensiv darum bemüht, Informationen über die Situation des Landes nicht nach außen dringen zu lassen. Es ist offensichtlich, dass Peking den Konflikt eher durch Geheimhaltung als durch eine Neugestaltung der Tibet- beziehungsweise Menschenrechtspolitik lösen möchte. Eine wichtige Rolle bei der Unterdrückung des Informationsflusses spielt die Verweigerung, internationalen Menschenrechtsorganisationen die Einreise in die Volksrepublik China zu gestatten. Akteure der internationalen Staatengemeinschaft kennen die Zustände in China und dennoch wird wenig dagegen unternommen. Mit den Olympischen Spielen 2008 sollte aber alles anders werden.

Die Olympische Idee

Die Olympischen Spielen sind nicht irgendein Sportevent – vielmehr leben sie von einer eigenen Philosophie. Die Kritik war daher aufgrund des Austragungsortes entsprechend groß. Und das nicht zum ersten Mal – die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Auch 1936, als die Olympischen Spiele im nationalsozialistischen Deutschland ausgetragen wurden, etablierte sich eine breite Öffentlichkeit, die zum Boykott aufrief, weil sie Zweifel an der Einhaltung der Olympischen Charta hatte. Die Olympische Erziehung nach Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der neuzeitlichen Olympischen Spiele (1896), gründet sich auf Idealen, die weder mit dem Deutschland des Jahres 1936 noch mit China 2008 vereinbar sind. Es geht hierbei um die Vorstellung einer harmonischen Ausbildung des ganzen Menschen und die Idee der menschlichen Vervollkommnung über das Streben nach einer guten Leistung. Dominiert wird der „Olympismus“ sowohl durch die freiwillige Bindung an ethische Grundsätze im sportlichen Handeln wie Fairplay und Chancengleichheit, als auch durch den Friedensgedanken und die Völkerverständigung, die von den Menschen Respekt und Toleranz im Umgang miteinander fordert. Darüber hinaus dominiert der Glaube an die Förderung emanzipatorischer Entwicklungen im und durch den Sport. In diesen Punkten erhebt die olympische Bewegung einen politischen Anspruch, an dem auch in schwierigen Situationen festzuhalten ist.

Als Berlin den Zuschlag für die Austragung der Sportfestspiele bekommt, harmoniert die Politik der Weimarer Republik mit der Olympischen Charta. Als jedoch 1933 Hitler die Macht ergreift, ist der Zuschlag erteilt und der Bruch der Olympischen Idee damit vorgegeben. Eine Entwicklung, die das IOC – das Internationale Olympische Komitee – vorher nicht absehen konnte.

Die Metropole Peking hingegen erhielt im Jahr 2001 den Zuschlag für die Austragung der olympischen Sommerspiele 2008. Als Inspektoren des IOC ihren Abschlussbericht über Peking verfassten, wurde betont, dass nur die organisatorische Fähigkeit der Ausrichtung beurteilt wurde und politische Fragen keine Berücksichtigung fanden. Die Menschenrechtsprobleme in China wurden einerseits als Argument für die Austragung der Olympischen Spiele verwendet, weil man sich eine Verbesserung der Lage erhoffte. Eine weitverbreitete Meinung war, dass die politische Situation nur dann verbessert werden könnte, wenn man sich für China entscheidet und es nicht länger isoliert. Andererseits wurden diese Probleme auch als Argument gegen eine Vergabe der Spiele an Peking verwendet, da ein gewisser Standard an Menschenrechten bereits vor den Festivitäten gegeben sein müsste.

Jede Veranstaltung mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit kann politisch instrumentalisiert werden. Dies gilt umso mehr, je höher die Außenwirkung oder aber der mit dem Ereignis verbundene politische Anspruch ist. Dessen waren sich die internationalen politischen Akteure bewusst.

Auch wenn das IOC eine politische Bewertung des Auswahlverfahrens offiziell ablehnte, wurde später die Verknüpfung des Sports mit der politischen Diskussion deutlich, nämlich als schon vor dem Start des Events die Proteste und die Boykottaufrufe auch von Seiten der politischen Akteure unüberhörbar laut wurden. Diese nutzten die öffentliche Wirkung der Olympischen Spiele, um für die eigenen politischen Vorstellungen zu werben. Somit haben auch die westlichen Länder, die zunächst einen Boykott erwogen hatten, die olympische Bühne für ihre politischen Zwecke genutzt. Doch keine der westlich orientierten Wirtschaftsnationen hat sich letztlich zu einem Boykott durchringen können und wurden damit ihrer politischen Verantwortung nicht gerecht.

Was bleibt nach 2008?

Bis heute, zwei Jahre nach dem Event, hat sich die Menschenrechtssituation in China nicht ansatzweise verbessert. Dies gilt vor allem für die Situation der Tibeter. Immer noch ist das Regime in China geprägt durch Unterdrückung, mangelnde Rechtstaatlichkeit und eine hohe Zahl an Tötungsdelikten durch staatliche Organe. Es zeigt sich also, dass ein Boykottaufruf zwar das Interesse der Medien garantiert, politisch aber nichts bewirken kann, sofern er nicht realisiert wird. Festzustellen ist, dass die Olympische Idee keinen nachhaltigen Effekt auf das autoritäre Regime in China und seinen selbstgerechten Politikstil gehabt hat. Dabei standen diese Olympischen Spiele wie lange nicht mehr im Fokus der politischen Öffentlichkeit, denn das Medienecho der Protestbewegungen war weltweit enorm. Es ist daher umso enttäuschender zu sehen, dass der internationale Druck auf China, die Tibet-Frage zu lösen und die Menschenrechtslage zu verbessern, nach den Spielen so plötzlich nachgelassen hat. Da das chinesische Regime sich in der Vergangenheit weder diskussions- noch kompromissbereit gezeigt hat, wird diese ebenso unangenehme wie wichtige Thematik international nicht weiter diskutiert. Die Zustände werden – so scheint es – aus Bequemlichkeit und insbesondere wohl auch wegen wirtschaftlicher Interessen ignoriert. Die ethischen Grundsätze scheinen sich in Anbetracht der Wirtschaftsmacht des Landes wohl zu relativieren.

Anna von Spiczak

ist Masterstudentin an der NRW School of Governance, Mitarbeiterin des Instituts und Autorin des Buches „Imageumbrüche und politischer Wandel in der deutschen Atompolitik: Von der ungetrübten Euphorie zur Altlast“. Sie beschäftigt sich überwiegend mit umwelt- und energiepolitischen Themen im Bereich der Politikfeldanalyse.