ungeheuer modernisierung: wahlkampfkommunikation im wandel

Immer mehr Inszenierung, immer weniger Inhalt. Für viele scheint die Politik einem dramatischen Wandel ausgesetzt zu sein – insbesondere in Wahlkampfzeiten. Aber natürlich muss sich auch die Politik gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen anpassen. Das war schon immer so. Politik muss mit der Zeit gehen. Die neueste Herausforderung: Das Internet.

Ungeheuerliche Entwicklungen

Pompöse Parteitage, inszenierte Fernsehauftritte und strahlende Weltretter: Moderne Wahlkämpfe scheinen immer weniger ein Kampf um Ideen zu sein. Der Wahlkampfstratege von heute setzt auf Entertainment, Show und Emotionen. Wenn der Wähler mehr über das Privatleben der Kanzlerkandidaten als über die inhaltlichen Positionen der Parteien weiß, verwundert das heutzutage nur noch wenige. Der Wahlkampf scheint sich den Mediengesetzen zu unterwerfen. Die Diskussionen um politische Inhalte bleiben aus. Zuerst in der Politik, dann beim Wähler. In etwa so beschreiben viele Kommentatoren die moderne Politik. Doch entspricht das der Realität oder ist das Schwarzmalerei? Beides!

Die Crux der Modernisierung

Zweifelsohne hat sich die Gesellschaft verändert. Traditionelle Bindungen verloren in Deutschland an Bedeutung, situationsabhängige Stimmungslagen wurden wichtiger, die Wechselwähleranzahl stieg und gleichzeitig gewannen die Massenmedien an Einfluss. Die Politik muss auf diese Entwicklungen reagieren. Besonders im Wahlkampf muss die Balance zwischen Überpräsenz auf der einen und Nichtbeachtung auf der anderen Seite gefunden werden. Schlagworte wie Personalisierung, Emotionalisierung und Medialisierung sollen den Wandel beschreiben. Damit einher geht die Angst vor dem Verlust der demokratischen Qualität. Als Paradebeispiel gilt der ehemalige Bundeskanzler Schröder. Dessen Wahlkampfauftritte wurden schon mit einem Boxkampf oder der Oscarverleihung verglichen. Doch was als dramatischer Einschnitt in die deutsche Wahlkampfführung betitelt wurde, ist wohl nur auf die Modernisierung zurückzuführen. Eine Professionalisierung der Wahlkampfkommunikation ist feststellbar, eine dramatische Zäsur jedoch nicht. Vielmehr lassen sich aus vergangenen Wahlkämpfen auch Lehren ziehen. Wer auf die Erfahrungen der Vergangenheit nicht zurückgreift, wiederholt Fehler. Wer aber die Entwicklungen der Gegenwart ignoriert, begeht noch größere Fehler.

Herausforderung Internet

Allzu gerne hätten die Unionskandidaten bei den Landtagswahlen 2011 die Unterstützung des im chronischen Umfragehoch schwebenden Polit-Popstars Karl-Theodor zu Guttenberg in Anspruch genommen. Für zahlreiche Wahlkampfauftritte war der medienaffine Guttenberg schon fest gebucht. Doch sein Fall zeigt, dass ein gutes Image nicht vor der Wahrheit schützt. Besonders nicht, wenn man die Kommunikationshoheit gegenüber der Medienberichterstattung verliert. Und ganz besonders nicht, wenn der Druck unkontrollierbar erhöht wird. Zum Beispiel durch das Internet. Das Internet ist den deutschen Politikern schon spätestens seit der Jahrtausendwende bekannt und fester Bestandteil eines jeden Wahlkampfes. Aber dass es nicht nur zur Selbstdarstellung dient, sondern auch die politische Existenz gefährden kann, ist vielen erst seit Kurzem bewusst. So hat das GuttenPlag Wiki zu einem erheblichen Maße an der Aufdeckung zahlreicher kopierter Textstellen in der Plagiatsaffäre um Guttenberg beigetragen. Auch Gegenbewegungen konnten der erdrückenden Beweislast nicht Herr werden. Was sonst ein langer Prüfungsprozess geworden wäre, konnte auf wenige Tage gekürzt werden.

Für viele ist die Online-Welt noch immer unheimlich, für andere überwältigend. Ein Ungeheuer ist es nicht, seine Kraft scheint jedoch ungeheuerlich. Deswegen muss die Politik im Internet Präsenz zeigen. Gerade in den sozialen Netzwerken schlummert ein großes Potential, um Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, Inhalte zu verbreiten und sich selbst darzustellen. Wer aber glaubt, dass er sich auf einer Einbahnstraße der Kommunikation bewegt, der irrt. Der Gegenverkehr ist auf der Datenautobahn vorprogrammiert. Um einen Zusammenprall zu vermeiden, kann man auf Erfahrungen, die in nicht virtuellen Sphären gewonnen wurden, zurückgreifen. Das bedeutet vor allem professionelles Auftreten durch geschicktes Kommunikationsmanagement. Die eigene Homepage und ein Profil in den sozialen Netzwerken sind dabei Standard. Aber das heißt auch: Beiträge müssen aktuell sein, aber nicht alles sollte kommentiert werden. Eine Dauerbeschallung muss man vermeiden. Kernige Aussagen und Statements gehören dazu, gleichzeitig darf die Macht der Bilder nicht vergessen werden. Kleine Einblicke ins Privatleben sind in Ordnung, aber vor allem das Politische zählt. Erläuterungen zu politischen Ansichten sind daher gern gesehen. Dies gilt insbesondere zu Wahlkampfzeiten.

Fürchtet euch nicht: Antizipiert!

Ein Blick in die Wahlkampf-Historie zeigt: Mit der Zeit gehen, heißt Erfolg generieren. Dennoch darf man bestimmte gesellschaftliche und technologische Entwicklungen nicht überinterpretieren. Politik darf nicht künstlich interessant gemacht werden. Man sollte auch Erfahrungen aus anderen Ländern und vergangenen deutschen Wahlkämpfen nutzen. Da jeder Wahlkampf mit seinen Themen, Personen und Ereignissen sehr individuell ist, gibt es nicht den perfekten Wahlkampf. Eine gute Vorbereitung ist aber für den Erfolg zwingend notwendig. Dazu gehört auch die Antizipationsfähigkeit. Nicht alles nachahmen, aber auch nicht alles ignorieren. Wer heute schon in den Medien von morgen aktiv ist, sichert sich die Kommunikationshoheit. Eine Angst vor der Professionalisierung ist unbegründet. Gleichzeitig müssen die verschiedenen Akteure sich gegenseitig und die gesellschaftlichen Entwicklungen im Auge behalten. Aber bitte keine Panikmache: Man nennt dieses Phänomen Fortschritt. Das Motto sollte daher lauten: Nutzt die euch gegebenen Möglichkeiten. Nutzt sie aber nicht aus.

Alexander Grieswald

studiert den Master Politikmanagement an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen. Praktische Erfahrungen sammelte er im Journalismus und bei verschiedenen Wirtschaftsunternehmen. Seine Schwerpunkte liegen in der politischen Kommunikation sowie der Strategieberatung.