wenn tote an die urne gehen

Der Prozess des Wählens ist sehr fragil. Es gibt eine wahre Vielfalt an Möglichkeiten um ihn zu manipulieren und somit ein für eine Partei oder einen Kandidaten gewünschtes Ergebnis zu erzwingen. Autoritäre Regime, defekte Demokratien und Post-Konflikt-Länder sind die ersten an die man denkt, wenn es um Wahlbetrug geht. Aber auch in gefestigten Demokratien kann dies vorkommen.

von Maximilian Hösl

Die US-Fernsehserie ‚Die Simpsons‘ ist dafür bekannt, politische Implikationen aufzunehmen. In der Episode „Tingeltangel-Bob“ wählt die Stadt Springfield einen neuen Bürgermeister – den kürzlich aus dem Gefängnis entlassenen Tingeltangel-Bob. Jedoch entlarven Bart und Lisa, die Kinder der Familie Simpson, den vermeintlichen Wahlgewinner als Betrüger. Dieser hatte die Wahl manipuliert und zwar indem er sich buchstäblich von den Toten wählen ließ. Die Stimmen stammten allesamt von längst verstorbenen Bürgern Springfields. Diese, kurios anmutende, Form von Wahlbetrug mag einem in diesem Zusammenhang ein Schmunzeln entlocken, schließlich handelt es sich hierbei ja um eine Comicserie und nicht um die Realität.

 

Wahlbetrug und seine Auswüchse

Während der iranischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 haben jedoch tatsächlich Tote gewählt. Dort wurden mit den Ausweisen Verstorbener Stimmen abgegeben, was zu absurden Ergebnissen führte: In manchem Wahlkreis lag die Wahlbeteiligung bei über 100 Prozent. Dies macht deutlich, wie viel Kreativität autoritäre Regime entwickeln, wenn es darum geht, sich in einen Schleier von Scheinlegitimtät zu hüllen. Aber nicht nur Tote werden für die Wahlmanipulation missbraucht; auch Minderjährige oder gänzlich fiktive Personen finden dafür Verwendung. Andere gängige Methoden bestehen im simplen Kauf von Stimmen, in der Bestechung von Wahlhelfern oder in der Mithilfe „fliegender Wähler“, die mehrfach Stimmen abgeben. Letzteres sollte bei den afghanischen Parlamentswahlen im Jahr 2010 mittels einer nicht abwaschbaren Tinte am Zeigefinger verhindert werden. Trotzdem war es möglich diese zu entfernen, wodurch Unregelmäßigkeiten auftraten. Dies sind nur einige Möglichkeiten, um am Wahltag das Ergebnis zu Gunsten einer Partei oder eines Kandidaten zu lenken. Vor den Kongresswahlen im Jahr 1995 auf den Philippinen hatte eine Zeitung sogar vierzig Möglichkeiten des Wahlbetrugs bekanntgegeben. Wahlen sind offensichtlich sehr fragile Prozesse und geraten vor allem in autoritären Regimen, Post-Konflikt-Ländern und defekten Demokratien oft zur Farce.

 

Wahlbetrug aufdecken und erschweren

Für Bart und Lisa war es ein kleines Abenteuer, den Wahlbetrug aufzudecken und den Bösewicht zu entlarven. In der Realität übernehmen oft internationale Institutionen, wie etwa die OECD, die Aufgabe, Wahlen zu beobachten und Wahlbetrug aufzudecken. Sie werden dabei nicht selten mit Gewaltausbrüchen konfrontiert, bei ihrer Arbeit behindert oder erst gar nicht zugelassen, wie es bei den Präsidentschaftswahlen im Iran der Fall war. Ihre Arbeit und ihre veröffentlichten Erkenntnisse zeigen uns jedoch immer wieder, wie wenig Wahlen in Staaten mit unserer, im Artikel 38 des Grundgesetzes verankerten, Vorstellungeiner allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl gemein haben. Was sie jedoch damit erreichen, ist den Aufwand und das Risiko wert. Sie erschweren Wahlfälschung, wenn sie die Möglichkeit haben, vor Ort zu sein und beschädigen die Legitimität, die sich Regime über gefälschte Wahlen erschleichen wollen. Doch nicht nur Staaten, in denen eine Manipulation der Wahlen zu erwarten ist werden beobachtet, sondern auch Wahlen in gefestigten Demokratien. So stand Deutschland während der Bundestagswahl 2009 unter der Beobachtung der OECD. Eine vergleichsweise harmlose Mission. Festgestellt wurde lediglich, dass die Kriterien zur Wahl-Zulassung nicht messbar und zu unspezifisch sind und keine Einspruchsmöglichkeit bei einer Rechtsbehörde im Vorfeld der Bundestagswahl möglich ist.

 

Gab es in Deutschland noch nie Wahlfälschungen?

In der deutschen Geschichte sind natürlich Beispiele zu finden. Mit Ergebnissen von 99,7 Prozent Zustimmung zur Einheitsliste hatte sich das SED-Regime gebrüstet. Den Beobachtern und Bürgern dürfte klar gewesenen sein, dass solche Traum-Ergebnisse wirklich nur den Träumen der DDR-Führungsriege entsprungen sein konnten. Den endgültigen Beweis traten jedoch im Jahr 1989 verschiedene Bürgerrechtsgruppierungen bei den Kommunalwahlen an. Gemäß DDR-Verfassung war es obligatorisch, dass Auszählungen öffentlich stattfinden. Dies machten sich die Bürgerrechtler zu Nutze und taten ihr Möglichstes, um die Stimmauszählungen flächendeckend zu kontrollieren. Sie kamen zu dem, nicht wenig überraschenden, Ergebnis: Die Wahl wurde gefälscht. Nach Zählung der Bürgerrechtler hatten sieben Prozent der Wähler gegen die SED gestimmt. Ein bitteres Ergebnis für das Regime, dass offiziell bekannt gab, eine Zustimmung von 98,85 Prozent erreicht zu haben. Aber wie steht es um Wahlbetrug in der jüngeren Geschichte der BRD? Gerne werfen die Politiker sich gegenseitig Wahlbetrug vor, wenn vor der Wahl gegebene Versprechen während der Legislaturperiode nicht eingelöst werden. Aber gibt es auch Fälle von Wahlfälschung? Die gibt es tatsächlich! Auf Wahlfälschung und Wahlbehinderung steht in Deutschland eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Trotzdem lässt sich manch einer davon nicht abschrecken. So wurde etwa im Jahr 2002 die Kommunalwahl in Dachau manipuliert, indem 422 Briefwählerstimmen gefälscht wurden. Aufgefallen ist der Betrug nur, weil der Fälscher für alle Unterlagen denselben Kugelschreiber benutzt hatte. Wie bei den Simpsons ist es wohl gerade die kommunale Ebene, bei der selbst in gefestigten Demokratien Wahlfälschung vorkommt.

Das Beispiel der DDR zeigt, dass der fragile Prozess des Wählens auch auf Initiative der Wähler beobachtet und kontrolliert werden kann. Das bürgerschaftliche Engagement hat den Betrug aufgedeckt und unter anderem dazu beigetragen, dass das SED-Regime sich weiter delegitimierte. Es war letztlich ein weiterer Schritt hin zum Mauerfall. Es obliegt also nicht nur internationalen Organisationen, Wahlbetrug aufzudecken. Jeder Bürger kann einen Beitrag dazu leisten, vor allem dort, wo internationalen Beobachtern die Einreise verweigert wird. Traurigerweise ist dies in autoritären Regimen nur begrenzt möglich und mit hohen Risiken für Leib und Leben verbunden. Umso notwendiger ist es, dass sich die internationale Gemeinschaft für Menschen, die sich diesem Risiko aussetzen, stark macht.

Maximilian Hösl

studiert den Masterstudiengang Politikmanagementder NRW School of Governance der UniversitätDuisburg-Essen. Er absolvierte ein Auslandssemesteran der American University in Washington D. C. undkonnte u.a. bei der NGO Transparency InternationalDeutschland e.V. und der Landesgeschäftsstelleder Partei Bündnis ’90 / Die Grünen in DüsseldorfPraxiserfahrung sammeln. Schwerpunkte seinerbisherigen Studien waren politische Kommunikationund Konfliktforschung.