atomkraft? bitte nicht schon wieder!

Das Ende ist beschlossen – schon wieder. Doch dieses Mal soll es dabei bleiben. Die Nutzung der Atomenergie ist ein Thema von ethischer Relevanz – sowohl für Gegner, als auch für Befürworter.

 

Der englische Begriff power bezeichnet nicht nur Energie, sondern auch Macht. Die Macht der Politik wird darin deutlich, dass ihre energiepolitischen Richtungsentscheidungen Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen beeinflussen. Bedingt durch die Einflüsse auf das Ökosystem und die Lebensbedingungen der Bevölkerung, geht es in dem bereits seit Jahrzehnten andauernden Streit um die Nutzung der Atomenergie nicht mehr länger um eine technische, sondern vielmehr um eine ordnungspolitische Angelegenheit, die sich insbesondere an ethischen Maßstäben orientieren muss. Über den Betrieb von Atomkraftwerken darf somit nicht allein unter Bezug auf technische und wirtschaftliche Kriterien diskutiert werden. Vielmehr ist eine ethisch begründete politische Entscheidung zu treffen. Im Vergleich zu anderen Techniken der Energiegewinnung, die eher aus klimapolitischer Sicht bedenklich sind, geht es bei der Nutzung der Atomenergie verstärkt um die in letzter Konsequenz nicht kalkulierbaren Sicherheitsfragen. Das sogenannte „Restrisiko“ ist ein gerne genutzter schwammiger Begriff, der durch die jüngsten Ereignisse in seiner Verharmlosung entlarvt wurde.

All die ganzen Jahre

Nachdem die Bundesrepublik 1955 ihre volle Souveränität wiedererlangt hatte, erfolgte zugleich der staatliche Einstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie. Von da an wurde die Energietechnik politisch wie finanziell durch verschiedene Atomprogramme gefördert. Nicht zuletzt durch die Probleme der Ölkrise 1973 wurde die Überzeugung verstärkt, dass die Nutzung der Atomkraft für die Energieversorgung unverzichtbar sei. Der Konflikt um das geplante Atomkraftwerk in Whyl 1975, das aufgrund massiver Proteste nie gebaut wurde, markiert die Geburtsstunde der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung, die seitdem konsequent für ihr Ziel einer atomfreien Energieversorgung kämpft. Die nach den Reaktorunglücken von Harrisburg und Tschernobyl entstandene Diskussion einer Technikethik war ein zusätzliches, ausschlaggebendes Moment für einen gesellschaftlichen und politischen Sinneswandel. Dieser führte zum Atomausstieg durch die Regierung Schröder im Jahre 2002. Nachdem das Thema aufgrund der unterschiedlichen Ansichten in der Großen Koalition nicht weiter behandelt wurde, beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung im Herbst 2010, die Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke zu verlängern, also den „Ausstieg aus dem Ausstieg“. In der Debatte über diesen Kurswechsel wurden auch von den Kernkraftbefürwortern ethische Grundsätze angeführt. Dazu zählte besonders das Argument des Klimaschutzes, sodass die Energiegewinnung aus Spaltmaterialien aufgrund ihres geringen Emissionswertes als „Ökoenergie“ und „Klimaretter“ deklariert wurde. Denn die Angst vor dem Atomtod nach Tschernobyl war mittlerweile der Angst durch den Klimatod gewichen. Zudem wurde die als notwendig betrachtete Unabhängigkeit von Energieressourcen aus dem Ausland angestrebt und die Bezahlbarkeit der Energie in Aussicht gestellt. Neue ethische Maßstäbe für eine klimagasfreie Energieerzeugung wurden gesetzt, sodass Aspekte wie das „Restrisiko“ und das Nachhaltigkeitsprinzip kurzzeitig in den Schatten rückten. Der Wandel des Politikfeldes zeigt, dass ethische Grundsätze sowohl von Gegnern als auch von Befürwortern der Kernenergie genutzt wurden, um für eigene Interessen zu werben. Dies verstärkt die ethische Prägung des Streits um die Nutzung der Atomenergie.

Ein Ende mit Schrecken

Ein Blick in Vergangenheit und Gegenwart der Kernenergienutzung in Deutschland verdeutlicht, dass sich die Stimmung gegenüber dieser Policy wiederholt gewandelt hat. Das Politikfeld ist von starken Akzeptanzumbrüchen geprägt und von Befürwortern wie Gegnern ethisch aufgeladen wie kein anderes. Denn nicht nur die Reaktorkatastrophen, sondern auch die Klimaerwärmung nahm zeitweise starken Einfluss auf die Diskussion. Doch wer sich eingehend mit der Zukunftsfähigkeit dieser Technologie auseinandersetzt wird feststellen: Sie hat keine! Nach der unglaublichen Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 dominierten Fragen der Sicherheit, der Unverzichtbarkeit und der technischen Beherrschbarkeit der Atomenergie das politische Tagesgeschäft. Die Bundeskanzlerin improvisierte, verhängte ein dreimonatiges Moratorium über die sieben ältesten Meiler, um deren Sicherheit zu überprüfen und rief die „Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung“ zusammen. Diese wurde zunächst aufgrund ihrer Zusammensetzung kritisiert, da beispielsweise Umweltverbände nicht darin vertreten waren. Zusätzlich drängte sich die Frage auf, ob diese Ethikkommission überhaupt objektiv entscheiden könne, ob die weitere Nutzung der Atomenergie ethisch vertretbar ist. Zu Recht! Denn diese Entscheidung kann nur durch gesellschaftlichen Konsens getroffen werden. Das Moratorium führte zu einer Rückbesinnung auf den Atomausstieg und es entwickelte sich ein parteipolitischer Wettlauf in der Frage, wer es früher schafft. Die Akzeptanz der Atomenergienutzung hat sich durch Fukushima gewandelt und die ethischen Maßstäbe der Atomgegner haben sich in dieser politischen Entscheidung durchgesetzt. Neben den Emissionen rückte auch der Aspekt der Sicherheit als Anspruch an eine zukunftsfähige Energieversorgung wieder in den Vordergrund.

Ein Schrecken mit Ende

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat besonders den Sicherheitsaspekten und der Frage der technischen Beherrschbarkeit von Atomkraftwerken ein breites öffentliches Interesse beschert. Die Diskussion über die Sicherheit wird von der Frage ergänzt, ob ein Betrieb der AKWs moralischen Wertmaßstäben gerecht werden kann. So widerspricht beispielsweise die ungelöste Frage der Endlagerung in eklatanter Weise dem ethischen Prinzip der Generationengerechtigkeit. Seit knapp 60 Jahren nutzt Deutschland die Atomkraft und es gibt noch keine Entsorgungslösung für den langlebigsten und gefährlichsten Müll, den es gibt. Die katastrophalen Erfahrungen im Lagerbergwerk Asse, die auch dem vorläufigen Endlager Gorleben prognostiziert werden, verdeutlichen die seit Jahren von allen politischen Parteien aufgeschobene Problematik der Endlagerung. Ist das Prinzip der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit alleine nicht ausschlaggebend genug, die Nutzung der Atomenergie so schnell wie möglich aus ethischen Erwägungen zu beenden? War Fukushima für diese Erkenntnis wirklich notwendig? Denn was nützt uns eine klimagasfreie Luft, wenn der Boden unter uns radioaktiv verseucht ist? Hier geht es nicht primär um die Frage der technischen Beherrschbarkeit dieser Risikotechnologie, sondern vor allem darum, ob ein fortsetzender Betrieb der Anlagen mit Blick auf das „Restrisiko“ ethisch vertretbar ist. Von den Energiekonzernen ist eine Übernahme dieser gesellschaftlichen Verantwortung nicht zu erwarten, aber die Politik ist moralisch dazu verpflichtet. Man darf nie vergessen, so unterschiedlich die Ursachen der Reaktorkatastrophen in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima auch sind, sie alle haben eins gemeinsam: sie sind die Verkettung ebenso fataler wie unvorhersehbarer und somit auch in ihren Auswirkungen nicht beherrschbarer Umstände. Das Risikopotential durch menschliches wie technisches Versagen besteht weltweit und wird auch in den deutschen Reaktoren immer bestehen bleiben.