Die scheinbar Unbesiegbaren

Wahlsiege bauen auf vielen Faktoren auf. Der Kandidat alleine verliert keine Wahl, entscheidend ist vor allem die eigene und (noch viel wichtiger) die Strategie des Gegners. So kann man Parallelen zu 2009 beobachten. Hat Kraft bei der Kanzlerin abgeguckt? Von Stephan Zitzler

Der 13. Mai 2012 war für die NRW CDU ein ganz schwarzer Sonntag – aber so ganz anders als Röttgen und Co. sich das vorstellten. Das historisch schlechteste Ergebnis in der Parteigeschichte zwischen Rhein und Weser war Ergebnis eines effektiven Wahlkampfes der SPD mit der alles überragenden Spitzenkandidatin Hannelore Kraft. Norbert Röttgen fand gegen, den in den Medien oft betitelten, Kuschelkurs Krafts einfach kein Mittel und dürfte voller Verzweiflung erst stagnierende Umfragewerte um 30 Prozent begutachten und am Ende ein Ergebnis, das mit knapp 26 Prozent noch einmal weit darunter lag. Enttäuschung und Frust sind auf der CDU Seite groß, zusammen mit den Linken ist man der große Wahlverlierer, Röttgen hat unmittelbar politische Konsequenzen gezogen. Auf der anderen Seite ist hingegen die Freude groß. Eine Minderheitsregierung wandelt sich in die Mehrheitsform – der politische Normalfall ist (endlich) wieder hergestellt.

Die Gretchenfrage nach Mobilisierung

Zunächst einmal verdient allerdings eine ganz andere Zahl Beachtung als die mageren 26 oder die dominanten knapp 39 Prozent von den beiden ‚großen‘ ‚Volks’parteien. Die Wahlbeteiligung lag wieder unter 60 Prozent, damit blieben absolut gesehen rund fünf Millionen Wahlberechtigte zuhause oder genossen sonst wo das gute Wetter (was eigentlich kein Indikator für eine niedrige Wahlbeteiligung ist). Die Wahlbeteiligung resultiert maßgeblich aus der Fähigkeit der Parteien zur Mobilisierung ihrer Anhänger. Die Fähigkeit zu Mobilisieren wiederum wird durch den Kandidat, die gesetzten Themen bzw. die Programmatik und die Wahlkampfstrategie bestimmt.

Über die Kandidaten wurde viel im Wahlkampfgesprochen: eine Umfrage- und Zahlenschlacht rückte die Kompetenz- und die Beliebtheits- sowie Popularitätswerte in den Mittelpunkt. Hier zeichnete sich klar ab, dass Kraft eindeutig als sympathischer, bürgernäher und als vermittlungstalentierter wahrgenommen wurde. Der Amtsbonus zog auf voller Linie. Röttgen war dagegen weit abgeschlagen, er machte politische Fehler und tappte in das ein oder andere Fettnäpfchen, sodass sich daran auch nichts mehr änderte. Er trägt klar die Verantwortung für die Schlappe, aber trägt er auch die (alleinige) Schuld? Mit einem solchen Urteil sind viele politische Beobachter schnell zur Hand – monokausale Erklärungen haben allerdings nie weit gebracht die politische Realität abzubilden.

Die Themen des Wahlkampfes rissen auch niemanden wirklich vom Hocker. Durch die Kompromisslösungen zur Zeiten der Minderheitsregierung beispielsweise in Fragen der Schulpolitik fielen die großen landespolitischen Themen schon einmal weg. Haushalts- und Verschuldungspolitik hat noch nie zu einem Kassenschlager getaugt, auch wenn diesen Fragen wohl die größte Prägekraft für politische Entscheidungen inne wohnt. Dem Bürger sind sie allerdings oft zu weit entfernt und dadurch nur schwer vermittelbar – den Zahlendschungel durch ein klares Konzept zu lichten, hat die CDU zumindest nicht vermocht. Hinzu kommt noch, dass die wirtschaftliche Lage einfach zu gut ist, um eine Wechselstimmung zu erzeugen. So waren Arbeitsplätze und Beschäftigung, also klassische Wirtschaftsthemen, eher von randständiger Bedeutung in der politischen Auseinandersetzung.

Ursachenforschung: Strategische Einbettung der Macht der Verhältnisse

In diese Zeiten gehört eine passende Wahlkampfstrategie. Nur mit der richtigen Ausrichtung der Wahlkampfführung können Parteien in der politischen Arena bestehen und am Ende einen Sieg einfahren. Krafts Kuschelkurs ist dies eindrucksvoll geglückt. Wohlfühlstimmung mit extra viel Currywurst – politisch hatte keine Partei hier etwas entgegen zusetzen. Das Image der Landesmutter besorgte den Rest (bedingte aber auch diese Ausrichtung). Um Vergleichbares zu finden, muss man nicht erst bis Rau in der Zeit zurückgehen. Diese Entpolitisierungsstrategie hat mit dem Bundestagswahlkampf von 2009 ebenfalls viel gemeinsam. Damals setzte die CDU auf die asymmetrische Demobilisierung – man bediente zwar Themen, aber schloss alle Angriffsfronten gegen den politischen Widersacher und erwiderte auch nicht einen schärferen Ton, sodass die SPD, wenn diese auf Angriff setzte, schon verloren hatte. Letztlich ging das Kalkül auf, das verhältnismäßig mehr (am Ende viel mehr) Anhänger der SPD zuhause blieben, auch wenn dies nur mit Verlusten der CDU zu realisieren war. Als langweiligster Wahlkampf aller Zeiten wurde Merkels Kurs beschrieben. Die SPD war aus der Situation der Großen Koalition heraus total eingelullt von einer präsidial agierenden Kanzlerin. 2012 macht es die SPD mit Kraft aus einer Minderheitsregierung ähnlich und dreht den Spieß um. Nun wich sie vor dem harten Schlagabtausch zurück. Kraft hat also von Merkel gelernt – beide erscheinen als (momentan) unbesiegbar. Und noch eine Gemeinsamkeit hat diese Art Wahlkampf zu führen: Beide Male zog sie das jeweils historisch schlechteste Ergebnis der Partei nach sich, die keine Antwort darauf geben konnte.

Ein Wort noch zur Entpolitisierung, die in Mode zu kommen scheint: Aus machtpolitischen Erwägungen erscheinen solche Strategien sinnvoll, von einem normativen Standpunkt aus betrachtet, kann man darüber streiten, ob die Politik sich dem Bürger gegenüber einen unpolitischen Anstrich geben sollte.

Die Parteien werden wohl ihre Lehren daraus ziehen. Natürlich zeigt sich auch hier die Kontingenz politischen Handelns. Unter anderen Umständen hat die selbe Strategie nicht das gleiche Ergebnis. Für die Bundestagswahl 2013 kann man also gespannt sein, welchen Weg die strategischen Zentren der Parteien einschlagen werden, um einen Vorteil zu erheischen. Was sich bei der NRW Wahl diesmal schon gezeigt hat und worüber schon viele mediale Spekulationen kursieren, dürfte dann ein weiterer wichtiger Faktor sein, insbesondere für die CDU: wer wird Mehrheitsbeschaffer?

So bleibt als Fazit wieder stehen: die Mischung machts.