Bürgerhaushalte – Das Geld in den Händen der Wähler?

Die Einführung von Bürgerhaushalten liegt in deutschen Kommunen im Trend. War das Haushalten bislang die „Heilige Kuh“ der gewählten Mandatsträger, sollen die Bürger nun bei der Nutzung der finanziellen Mittel ihrer Gemeinde mitreden. Wie kam es zu diesem Wandel?

In einer kleinen Schwarzwaldgemeinde fing es an, doch mittlerweile ist mit Köln selbst eine Millionenstadt auf den Zug aufgesprungen. Bürgerhaushalte sind längerfristige Partizipationsinstrumente, die Bewohnern eines administrativen Bezirks erlauben über die Nutzung von finanziellen Mitteln mitzuentscheiden. Kommunen machen davon zunehmend Gebrauch. Anfang 2012 führten laut dem Informationsportal buergerhaushalt.org schon 102 deutsche Kommunen, davon 42 in Nordrhein-Westfalen, einen Bürgerhaushalt ein oder hatten diesen beschlossen. Bekanntheit erlangte das Partizipationsinstrument in NRW insbesondere durch das Projekt „Kommunaler Bürgerhaushalt“ Anfang der 2000er Jahre, getragen vom Innenministerium des Landes und der Bertelsmann-Stiftung. In diesem Rahmen wurde in sechs Modellkommunen das Beteiligungsverfahren eingeführt.

Bürgerhaushalt ist nicht gleich Bürgerhaushalt

Umfang und Verfahren eines Bürgerhaushaltes unterscheiden sich von Kommune zu Kommune. Das Kölner Modell beispielsweise befasst sich nur mit Teilbereichen des Kommunalhaushaltes. Zuletzt waren die Schwerpunktthemen Kinder & Jugend, Wirtschaftsförderung und Kultur. Unterschiede liegen auch in der Durchführungsart. Der Verwaltungswissenschaftler Tobias Fuhrmann (Fernuniversität Hagen) lobt das Verfahren des Berliner Bezirks Lichtenberg. Dieses ist – wie fast alle Verfahren heute – webbasiert. Es wird jedoch um eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld sowie schriftliche Befragungen von Kleingruppen in den Ortsteilen ergänzt. Nur mit einem solch aufwändigen und entsprechend teurem Verfahren werden sowohl eine hohe Beteiligung, als auch eine hohe Repräsentativität der Teilnehmer bezüglich der Sozialstruktur der Kommune erreicht. Beides sind entscheidende Faktoren für die demokratische Legitimität des Beteiligungsverfahrens. Bürgerhaushalte sind also durchaus unterschiedlich ausgestaltet. Allen gemein ist jedoch, dass schlussendlich der Rat entscheidet, ob die von den Bürgern entwickelten Ideen auch umgesetzt werden.

Die Politik und Bürgerhaushalte: Freude weit und breit?

Eingeführt werden Bürgerhaushalte nur teilweise auf Druck von Bürgerinitiativen und der Öffentlichkeit. Vielmehr gehen sie häufig auf Initiativen der direkt gewählten Bürgermeister zurück. Dabei haben die Bürgermeister laut Fuhrmann den Wähler im Auge: „Wir gehen davon aus, dass die Bürgerhaushalte den Bürgermeistern eine Profilierungsmöglichkeit bieten, um sich als bürgernahe ‚modernizer’ darzustellen, die an Bürgerbeteiligung interessiert sind.“ Im Gegensatz zum Bürgermeister steht der Rat einer Kommune der Einführung eines Bürgerhaushaltes in der Regel kritisch gegenüber, ist die Verfügung über die öffentlichen Finanzen doch eine seiner Kernbefugnisse. Ebenso regelmäßig beschließt der Rat dann doch eine Einführung mit großer Mehrheit. Schließlich möchte sich heute kaum ein Politiker  offen gegen mehr Partizipation aussprechen.

Beteiligung aus Hilflosigkeit

Es gibt jedoch noch ein weiteres starkes Motiv für die Einführung von Bürgerhaushalten, das die lokalen Mandatsträger gemein haben: Die finanziellen Verhältnisse vieler Kommunen sind desolat, was auf eine strukturelle Unterfinanzierung bei ständig neuen Aufgaben ohne finanziellen Ausgleich zurückzuführen ist. Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es viele Kommunen mit sehr begrenzten finanziellen Gestaltungsspielräumen und Nothaushaltskommunen, die einer restriktiven Kommunalaufsicht unterliegen. Es führen durchaus auch klamme Kommunen einen Bürgerhaushalt durch. Etwaige Beteiligungsergebnisse können jedoch aufgrund der monetären Verhältnisse kaum oder gar nicht umgesetzt werden. Es hat sich weiterhin ein neuer Typus Bürgerhaushalt entwickelt: der konsolidierungsorientierte Bürgerhaushalt. Ein solcher zielt vorrangig oder ausschließlich darauf ab, Bürgerideen zur Haushaltskonsolidierung abzufragen. Ob so verwendbarer Input zur Konsolidierung gefunden wird, bleibt bei der äußerst komplexen Materie fraglich. Dies ist allerdings auch gar nicht das primäre Ziel der Politik. „Solche Bürgerhaushalte sind vor allen Dingen Ausdruck von Hilflosigkeit der kommunalen Entscheidungsträger, die in erster Linie den Ernst der Lage signalisieren wollen“, so Fuhrmann. Mit Hilfe des Bürgerhaushaltes will die Politik kommunizieren, wie groß das Ausmaß der finanziellen Misere ist. Die Bürger sollen auf Kürzungen eingestimmt werden, die Alternativlosigkeit der Sparmaßnahmen soll ihnen vermittelt werden.

Wirklich eine Beteiligung der Bürger?

Sicherlich erfüllen Bürgerhaushalte – wenn sie den Zweck verfolgen, Menschen auf unbequeme Sparmaßnahmen einzustimmen – ein hehres Ziel. Es entspricht jedoch nicht der Ursprungsidee. Werden die Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens auf Grund des mangelnden finanziellen Gestaltungsspielraumes nicht umgesetzt, führt dies nur zu zusätzlicher Verdrossenheit der Bürger. Werden dagegen lediglich Sparideen abgefragt, so wirkt dies dem Anspruch von Bürgerhaushalten, dass die Bürger neue Projekte aktiv gestalten sollen, entgegen. In beiden Fällen ist die Bürgerbeteiligung nur symbolisch. In einem weiteren Fall ist das Partizipationsinstrument ebenfalls symbolisch . Dann nämlich, wenn im Rat, der das letzte Wort über den Haushalt besitzt, nur Projekten zugestimmt wird, die ohnehin vorhandenen Positionen entsprechen, während die anderen vorgeschlagenen Projekte ignoriert werden. Ein Bürgerhaushalt ist somit eigentlich überflüssig. Ist er und damit die Bürgerbeteiligung nur pro forma, werden die eigentlichen Ziele des Verfahrens, wie ein Rückgang der Politikverdrossenheit oder eine erhöhte Entscheidungsakzeptanz bei den Bürgern, nicht erreicht. Eher noch kommt es zu einer konträren Wirkung. Doch ein Bürgerhaushalt kann durchaus sinnvoll und erfolgreich sein. Das ist der Fall, wenn die Bürger wirklich gestalten können, zum Beispiel wenn ein bestimmtes Budget zur Verfügung gestellt wird, über das durch den Bürgerhaushalt verfügt wird.

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