der hammelsprung: der rechtsstaat im kampf gegen den terror

Die Terroranschläge vom 11. September waren in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. Mit den schrecklichen Ereignissen erreichte die terroristische Bedrohung nicht nur den Alltag vieler Menschen, es begann auch der „Kampf gegen Terror“. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit entwickelten sich Kriege in Afghanistan und im Irak – ersterer auch mit Beteiligung deutscher Soldaten und Spezialkräfte. Im Verborgenen blieb aber lange Zeit der eigentliche Krieg der Geheimdienste gegen das weltumspannende Netz des Terrorismus – frei von internationalen Konventionen und jenseits rechtsstaatlicher Prinzipien. Auch über den deutschen Luftraum und die US-amerikanischen Stützpunkte in Deutschland wurden Terrorverdächtige verschleppt. Und als es Spezialkräften der US-amerikanischen Marine gelang, Osama bin Laden zu töten, bekundete die Bundeskanzlerin öffentlich ihre Freude. Doch ist das „ethisch“ korrekt? Ist eine solche Haltung vertretbar?
Es gilt zu entscheiden: Dürfen die Grenzen des Rechtsstaates im Kampf gegen Terrorismus überschritten werden?

Ja

Die primäre Aufgabe des Staates – auch der Bundesrepublik Deutschland – ist es, seine Bürger wirksam vor jeglicher Bedrohung zu schützen. Der internationale Terrorismus stellt hierbei eine ganz besondere Herausforderung dar. Zum einen bildet er ein weltumspannendes, dezentral organisiertes Netz und zum anderen hält er sich keineswegs an die Spielregeln des klassischen Krieges. Der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck hat deswegen Recht, denn die Sicherheit und die Freiheit Deutschlands werden auch am Hindukusch verteidigt. Dass man die Terroristen dort nicht freundlich bitten kann, ist selbstverständlich. Es herrscht Krieg! Da ist das gezielte Töten einzelner Personen und die Inhaftierung potenzieller Terroristen die einzige Möglichkeit, blutige Anschläge mit zahlreichen zivilen Opfern zu verhindern – auch wenn das die Ausnahme und nicht die Regel bleiben sollte. Wer Sicherheit will, muss den Spezialkräften – sowohl den eigenen als auch denen der verbündeten Partner – nicht nur in Afghanistan sondern überall auf der Welt vertrauen. Sie durch Transparenz- und Kontrollzwänge zu gängeln würde nicht nur den Erfolg ihrer Arbeit, sondern auch die Sicherheit des eigenen Landes gefährden. Terroristen kennen keinen Rechtsstaat. Sie bekämpfen unsere freiheitliche Grundordnung mit allen Mitteln und schrecken dabei nicht vor zivilen Opfern zurück. Ihnen das Handwerk zu legen und die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten muss für den Staat höchste Priorität haben. Hierbei darf er sich nicht selbst im Weg stehen. Der Staat muss gelegentlich seine Grenzen überschreiten, um sich selbst zu schützen.

Enthaltung

Der Rechtsstaat ist ein Wert an sich – das steht außer Frage. Er muss geschützt und geachtet werden, um seine schleichende Aushöhlung zu verhindern. Das gilt auch und gerade für die Arbeit der Geheimdienste und Spezialeinheiten. Sie dürfen nicht außerhalb des Gesetzes stehen. Sie dürfen und sollen aber gleichwohl die Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, vollumfänglich ausnutzen. Denn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger ist eine legitimierende Aufgabe des Staates und diese muss mit allen Mitteln erfüllt werden. Die Grenze zwischen dem letzten Mittel auf der einen und dem Bruch mit rechtsstaatlichen Prinzipien auf der anderen Seite ist dabei aber keineswegs immer eindeutig. Vielfach liegt zwischen beidem eine Grauzone, die sich auch in der Nachbetrachtung nicht immer klar in schwarz oder weiß auflöst. Die Frage, ob die Grenzen des Rechtsstaats im Kampf gegen Terrorismus überschritten werden dürfen, kann daher nicht ohne weiteres beantwortet werden. Vielmehr ist hier eine realistische und pragmatische Sicht einzunehmen. Grundsätzlich dürfen die Spielregeln des Rechtsstaates nicht verletzt werden. Es ist aber nicht auszuschließen, dass im Ausnahmefall, wenn es um den unmittelbaren Schutz der Bevölkerung geht, die rechtsstaatlichen Grenzen etwas verschwimmen. Dies muss jedoch die absolute Ausnahme bleiben. Letztlich kann somit nichtsdestotrotz keine abschließende Entscheidung zwischen Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit getroffen werden.

Nein
Rechtsstaatlichkeit ist eine der zentralen Grundlagen unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft. Für den Rechtsstaat und den Schutz vor staatlicher Willkür ist Jahrhunderte gekämpft worden. Beides ist heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Deswegen muss es oberste Leitlinie sein, diesen Rechtsstaat durch nichts zu erschüttern. Der Staat darf niemals der Versuchung nachgeben, Sicherheit durch eine Überdehnung des Rechtsstaatsprinzips zu erreichen. Nur weil der Terrorismus vor keinem Mittel zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen, darf sich der Staat nicht auf ein Spiel einlassen, das keine Grenzen mehr kennt. Denn es würde letztlich dem Terrorismus in die Hände spielen, wenn die Gesellschaft eine ihrer zentralen Grundlagen in Gefahr bringt. Um sicherzustellen, dass der Rechtsstaat nicht im Verborgenen ausgehöhlt wird, bedarf es einer wirksamen Kontrolle sowohl der Arbeit der Geheimdienste als auch des Einsatzes der Bundeswehr und insbesondere ihrer Spezialeinheiten im Ausland. Es reicht hier nicht aus, dass die Exekutive über die Arbeit ihrer Dienste wacht. Wenngleich von der Regierung absolute Prinzipientreue erwartet werden muss, muss die Opposition ihre Kontrollfunktion wahrnehmen können. Daneben müssen auch die Medien und vor allem die kritische Öffentlichkeit zu Garanten der Rechtsstaatlichkeit werden. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit darf niemals – nicht mal in Ansätzen – aufgegeben werden. Denn wenn der Staat seine eigenen Grenzen aushebelt, dann ist das der Anfang vom Ende. Und das wäre erst recht ein Erfolg für den Terrorismus.