die gesellschaftliche verantwortung des sports – perspektiven aus der praxis

Der (nie wirklich) unschuldige Amateursport des 19. und 20. Jahrhunderts ist Vergangenheit. An die Stelle von honorigen Funktionären sind flexible Manager getreten, die ebenso gerne über Business-Pläne wie über die Finessen ihres Sports philosophieren. Sport ist allgegenwärtig und hat weltweit großen gesellschaftlichen Einfluss gewonnen. Doch vor allem im Profisport ist diese Entwicklung einseitig an ökonomisches Wachstum und Leistungsoptimierung gekoppelt. Mehr Einfluss erfordert jedoch mehr Verantwortung. Der Berliner Verein PLAY!YA arbeitet in  verschiedenen Projekten daran, den „sozialen Mehrwert“ des Sports zu erhöhen.

Ein Gastbeitrag aus der Praxis von Ian Mengel

Enorme Medienpräsenz, Millionen Arbeitsplätze, stetig steigende Absätze von Sportprodukten – Belege für die wachsende ökonomische Bedeutung des Sports gibt es ausreichend. Trotz der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise stieg die Zahl der Sponsoringverträge im Jahr 2009 um 15 Prozent gegenüber 2008. Die globalen Sportausgaben sollen laut einer Studie von Pricewaterhouse-Coopers von 114 Milliarden US-Dollar in 2009 auf 133 Milliarden US-Dollar in 2013 steigen – eine jährliche Wachstumsrate von 3,8 Prozent. Der Zugewinn an wirtschaftlicher Macht zeigt sich auf allen Ebenen in selbstbewusstem Handeln: Verbände bestimmen politische Entscheidungen mit, Vereine sind Wirtschaftsunternehmen und internationale Sportveranstaltungen globale Massenevents geworden – und einfache Sportler Superhelden, in deren Glanz sich auch Politiker gerne sonnen.

Verständnis für und Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Fragen sind in der Sportwelt jedoch schwach ausgeprägt. Die andere Seite der Medaille – Phänomene wie Korruption und Vetternwirtschaft, Doping und Wettmanipulationen oder der Verstoß gegen grundlegende Menschenrechte – wird ungern gezeigt, die Ursachen werden kaum sichtbar. Denn weiterhin wirkt das Bild vom zweckfreien Sport, der schwierige Fragen vorzugsweise „in der Familie“ (FIFA-Präsident Sepp Blatter) klärt.

Mehr Einfluss, mehr Verantwortung

Der steigende gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und auch symbolische Einfluss des Sports provoziert Fragen nach Legitimation, Transparenz oder Wertigkeit. Der Verein PLAY!YA greift diese Fragen auf und sucht nach Antworten: Was ist der eigentliche Sinn und Zweck des Sports? Wie kann Sport menschliche Entwicklung, kulturelle Vielfalt und soziale Teilhabe fördern? Dabei geht es sowohl um ein besseres Verständnis der Akteure und ihrer Handlungen als auch um die praktische Umsetzung sinnvoller Ideen in Form von Sport-, Bildungs- oder Gesundheitsprojekten. Die Gegen- beziehungsweise Mitspieler – Politiker, Beamte, Wirtschaftsvertreter, Medien usw. – sind in diesem Panorama ebenso von Bedeutung. Ziel dieser Arbeit ist es, den „sozialen Mehrwert“ des Sports zu steigern. Gesellschaftlich relevante Fragen, die von Verantwortlichen wie Freunden des Sports aus Mangel an Interesse oder kritischer Distanz selten diskutiert werden, sollen Eingang finden in Diskurse und Handeln der Akteure: Inwieweit nimmt der Sport Einfluss auf politische Entscheidungen? Welche Werte vermitteln die Sportstars bei öffentlichen Auftritten? Wie kann sich die Sportwelt sinnvoll sozial engagieren?

Die Antworten liegen nicht auf der Straße, aber sowohl die dem Sport eigenen Werte als auch Erkenntnisse aus anderen Bereichen bieten Anhaltspunkte. Das Projekt SportWerte sammelt diese Erfahrungen – etwa aus dem Fairen Handel, aus dem Bereich Unternehmensverantwortung / Corporate Social Responsibility oder aus Transparenzinitiativen – um sie auf die Gegebenheiten des Sports zu übertragen. Der Expertenworkshop „Sport und gesellschaftliche Verantwortung“ im Juni 2010 – ausgerichtet von der Ruhr-Universität Bochum, der Deutschen Sporthochschule Köln und PLAY!YA – hat eine erste Bestandsaufnahme dazu vorgenommen.

Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für eine Konferenz- und Publikationsreihe, die mittel- und langfristig eine lebhafte Diskussion und konkrete Handlungsempfehlungen im und für den Sport hervorbringen soll. In eine ähnliche Richtung arbeitet die AG Leitbild Sport der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, in der PLAY!YA engagiert ist. Die Arbeitsgruppe hat ein Leitbild für die Sportentwicklung in der Hauptstadt erstellt, das alle Bereiche vom Individualsport bis hin zum Profisport einbezieht. Unter Beteiligung zahlreicher gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen soll dieses Leitbild nun in politische Maßnahmen umgesetzt werden. Ein spezielles Problem wird im Projekt Global Player untersucht: der Handel mit jugendlichen Fußballern aus Afrika und Lateinamerika. Der Profifußball missbraucht systematisch die Hoffnungen von Millionen auf sozialen Aufstieg. Menschen werden zur Ware und zum Spekulationsobjekt, gar von einem „modernen Sklavenhandel“ ist die Rede. Das Projekt sammelt Informationen dazu und baut eine Datenbank sowie Beratungsangebote für Betroffene auf.

 

Sozial bewegen, Chancen wahrnehmen

Problemen stehen aber auch Chancen gegenüber, denn die Attraktivität des Sports ist gerade bei jungen Menschen ungebrochen. Diese Startbedingungen machen Hoffnung, dass der Sport tatsächlich sozial bewegen kann. Entscheidend dafür ist eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den vorliegenden Problemen und Möglichkeiten. Nachhaltige Arbeit in der Praxis kann nicht darauf aufbauen, einen Ball in die Mitte zu werfen und gute Wünsche hinterher zu senden. Wenn es um Bildungschancen, Jugendarbeitslosigkeit oder Gewalt geht, sind pädagogische Begleitung, übergreifende Zusammenarbeit und wirkliche Perspektiven gefragt. In Berlin koordiniert PLAY!YA die Straßenfußballplattform STRASSE!KICKT. Sie bringt Berliner Jugendeinrichtungen, soziale Projekte, Einzelpersonen sowie Politik und Wirtschaft zusammen, um das auf Sport basierende soziale Engagement in der Hauptstadt öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Rund um die jährliche Sport- und Kulturveranstaltung STRASSE!KICKT Open bietet sich hier die Gelegenheit, Informationen und Wissen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Die letzte Ausgabe im Juli 2010 auf dem Alexanderplatz stellte – in Kooperation mit den Berliner Handwerksinnungen – das Thema Ausbildung in den Mittelpunkt.

Ebenfalls in Berlin koordiniert PLAY!YA das Projekt LitCam – Fußball trifft Kultur, eine Initiative der Frankfurter Buchmesse in Kooperation mit der S.Fischer Stiftung. An zwei Neuköllner Grundschulen erhalten Jugendliche, mehrheitlich mit „Migrationshintergrund“, neben einem anspruchsvollen Fußballtraining zusätzliche Lese- und Sprachförderung, um bestehende Defizite auszugleichen. Kulturangebote und Aktivitäten mit Eltern sollen außerdem dazu beitragen, einer mentalen und physischen „Ghettoisierung“ entgegenzuwirken. Zentraler Bestandteil dieser praktischen Arbeit, mit der PLAY!YA auch Partnerprojekte in Kenia und Nigeria unterstützt, ist eine angemessene methodische Begleitung. Sie nutzt die positiven Aspekte des Sports für die Beschäftigung mit sozialen Fragen. PLAY!YA bietet zum Beispiel Workshops zu Themen wie „Konflikt- und Gewaltprävention“ oder „Globales Lernen“ an. Die Herausforderungen sind in jedem Kontext unterschiedlich, von besonderer Bedeutung ist jedoch wie im Sport die Rückbindung an Werte und Regeln. Sie funktionieren wie Lernbrücken, die Jugendlichen die Bedeutung von Lernbereitschaft, Eigenverantwortung, Dialogfähigkeit und sozialem Miteinander vor Augen führen können. Auch die große Welt des Sports braucht mehr dieser Lernbrücken, damit sich der wachsende Einfluss nicht einseitig zu Gunsten weniger, sondern zum Wohle vieler Menschen auswirkt. Die Chancen und Ressourcen sind vorhanden, die Verantwortlichen und viele Sportbegeisterte sind sich dessen nur noch nicht bewusst.

Ian Mengel

ist Mit-Initiator des Vereins PLAY!YA in Berlin.