Dr. Knut Bergmann im Interview: Vertrauen(sverlust) – emotionale Bindungen in der Politk

Herr Dr. Bergmann, Politik und Emotionen passen nicht zusammen, da in der Politik immer die Ratio der Gefühligkeit vorgezogen wird. Kann man das so stehen lassen?

Nein, das kann man nicht so stehen lassen. Natürlich erscheint beim Blick auf die Politik diese immer als ein sehr rationales Geschäft, das von Rationalität, von Strategie und Taktik bestimmt wird und in dem der Faktor Emotion immer nur dann eine Rolle spielt, wenn es um das Thema Wahlwerbung geht. Aber sogar dort ist die Emotion verrationalisiert, indem Fragen gestellt werden wie etwa: Wie emotionalisiere und wie mobilisiere ich meine potenziellen Wähler. Ich bin der Meinung, dass Emotionen in der Politik vor allem beim Thema Vertrauen eine wichtige Rolle spielen, etwa bei Koalitionsverhandlungen. Wenn man sich zum Beispiel dem Thema schwarz-grün nähert…

Wie zeichnet sich also Emotion – oder eben in Bezug auf die Koalitionsbildung und insbesondere bei der Konstellation schwarz-grün – Vertrauen aus?

Das Zustandekommen der ersten schwarz-grünen Koalition in Hamburg 2008 hatte auch etwas mit Emotionen zu tun. Den Verhandlungen war es durchaus zuträglich, dass Ole von Beust schlicht über gutes Benehmen verfügte – nachdem die GAL in Hamburg zwei Jahrzehnte lang ausgesprochen schlecht behandelt worden war. Selbst einfache Gesten wie das Aufhalten einer Tür bekamen Bedeutung. Es klingt trivial, aber es kann den Unterschied machen. Aus dieser Perspektive war es dann auch nicht überraschend, dass die Koalition schnell am Ende war, nachdem sich Ole von Beust von der politischen Bühne verabschiedet hatte. Oder denken Sie an die schwarz-grüne Koalitionsbildung in Hessen. Die Protagonisten kannten sich lange und haben es offenkundig geschafft, ihre Ressentiments gegeneinander zu überwinden. Natürlich gibt es immer rationale Gründe und Analyse, die gegen eine solchen Zusammenschluss sprechen, aber der Faktor Vertrauen, ein „Wir werden das schon hinbekommen“, ist ein gewichtiger Faktor, der leider zu oft unter den Tisch fällt.

Wir sprechen also vom Vertrauen von Politikern untereinander als eine treibende Kraft?

Absolut. Hierzu gibt es historische Beispiele. So kann man das Vertrauen, das George Bush Sr. in Helmut Kohl im Prozess hin zur Wiedervereinigung Deutschlands hatte, nennen. So wusste das Weiße Haus vorab von dem legendären 10-Punkte-Plan Kohls; der amerikanische Präsident und sein Team kannten aber nicht genau dessen Inhalt. Aber sie vertrauten Kohl. Ähnliche Vertrauensverhältnisse herrschten zwischen Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing aber auch zwischen Francois Mitterand und wiederum Helmut Kohl.

Wenn man nun vom Verhältnis zwischen Politikern weg auf das Verhältnis von Politiker und Wähler blickt – Wie schafft Frau Merkel es, dass ihr die Wähler in diesem besonderen Maße vertrauen? Sie äußert sich ja zu vielen Themen nicht.

Es ist eine Kombination aus Person, Themen und den Erfahrungen, die die Menschen mit Frau Merkel gemacht haben. Ihr Pragmatismus, ihre Uneitelkeit und Unaufgeregtheit passen einfach gut in die Zeit.

Wie sind beispielweise die Emotionen beim Engagement von Bürgerinnen und Bürgern gegen den Infrastrukturausbau im Zuge der Energiewende zu erklären? Ein emotionalisiertes Phänomen?

Nicht nur, aber auch. Zunächst folgen solche Auseinandersetzungen dem klassischen David-gegen-Goliath-Prinzip. Überdies ist Engagement Ausdruck eines Lebensgefühls. Gerade Protestbewegungen haben oft den Charme eines Happenings. Protest als soziale Bewegung erfüllt die Kriterien, warum Menschen sich engagieren: Man dient einer – in den eigenen Augen guten – Sache, gestaltet das eigene Umfeld, bringt Kompetenzen ein und erlebt soziales Miteinander. Belohnt wird die Mühe mit dem motivierenden Gefühl, selbstwirksam zu sein. Das ist der emotionale Teil. Der andere ist in vielen Fällen durchaus zweckrational. Wenn ich mir in Norddeutschland ein reetgedecktes Haus zugelegt habe, möchte ich keine Stromtrasse in der Nähe meines Gartens haben, weil es meine Lebensqualität senkt. Not in my backyard-Verhalten hat nicht nur mit Emotionen zu tun.

Wären die Proteste rund um Stuttgart 21 ein Beispiel, bei dem dies anders aussieht?

Zweifelsohne waren die Proteste gegen Stuttgart 21 nicht zuletzt ein Ventil für den Frust gegenüber der ewigen Regierungspartei CDU in Baden-Württemberg. Insofern waren da durchaus auch Emotionen im Spiel.

Die CDU und andere etablierte Parteien sprechen Emotionen also nicht so gut an, wie etwa Protestparteien á la AfD?

Sie tun es zumindest nicht mehr so gut wie früher. Gerade die großen Volksparteien waren in der Vergangenheit eine Art Sozialraum. Insbesondere die SPD war nicht nur politische Interessenvertretung, sondern ist zuerst als allgemeiner Arbeiterverein entstanden. Allerdings haben es die großen Parteien nur unzureichend vermocht, den Sozialraum zu erneuern und attraktiv zu erhalten. Etwas anders sieht es bei den kleinen Parteien, vor allem bei den Grünen, aus. Deren Mitglieder sind emotional stark an ihre Partei gebunden. Ganz anders die FDP: das liberale Lebensgefühl war nie emotionalisierend, sondern immer nur kühle Rationalität und hat so keine Bindewirkung erzeugen können. Protestparteien wiederum schaffen es mit populistischen Positionen zu polarisieren und emotionalisieren. Ob so etwas auf lange Sicht funktioniert, ist fraglich. Ganz sicher ist es kein Patentrezept zur Politikgestaltung.

Wie sieht Emotionalität konkret bei der AfD aus? Wird sich die Partei auf Dauer etablieren können?

Da ist zum einen der Kampf der Mitglieder untereinander. Es ist schon erstaunlich, dass eine Partei, bei der sich ganze Landesvorstände gegenseitig verklagen, so erfolgreich sein kann. Zum anderen bietet die AfD, und ich polemisiere jetzt, den ewigen Rechthabern, deren Leserbriefe die FAZ nicht mehr abdruckt, eine emotionale Heimat. Das Überleben der Partei wird aber weniger in der Emotion entschieden, sondern eher an der Frage, ob es die Partei schafft, eine politisch akzeptierte Plattform für eurokritische Positionen und sehr traditionelle konservative Haltungen zu bieten.

Vielen Dank für das Gespräch Herr Dr. Bergmann