Gabriels Dilemma

Wie positioniert sich die SPD als Oppositionspartei gegenüber der Regierung? Welche Auswirkungen hat dies auf die K-Frage innerhalb der SPD und der Troika? Es scheint, als hätte Gabriel es geschafft, dass nur der Weg über ihn nach Rom führt. Doch auch für den Parteivorsitzenden sind die kommenden Monate nicht ohne Risiko.

Von Stephan Zitzler

Der Verhandlungsmarathon um den europäischen Fiskalpakt und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist vorerst zu Ende gegangen. Anders als auf der Tartanbahn ist ein Sieger in der Politik allerdings nicht eindeutig auszumachen, jeder Staats- oder Regierungschef  will einen Punkt für sich verbuchen. Jedoch ist dies nicht nur auf der europäischen Arena umstritten, sondern auch eine obligatorische innenpolitische Profilierungsmöglichkeit. Wie das so üblich ist, erhält die Kanzlerin hierbei engagierte Unterstützung von fleißigen Helfern – vor allem durch die Generalsekretäre der Union. Während einige Kommentatoren Merkel in die ‚Wachstumspakt-Falle‘ Hollandes haben tappen sehen, kommt aus diesen Reihen ein ganz anderes Deutungsangebot: die SPD sei der Kanzlerin „in den Rücken gefallen“ (Dobrindt). Dagegen verwahrt sich wiederum die SPD Generalsekretärin Andrea Nahles, die von einer „Dolchstoßlegende“ nichts wissen will.

Im politischen Geschäft war es im Zweifel immer der andere. Fest steht aber eins: Natürlich hat die notwendige zweidrittel Mehrheit im Bundestag und Bundesrat der Opposition Verhandlungsmacht eingeräumt. Der parteiinterne Streit in der SPD-Spitze, insbesondere der Troika aus Gabriel, Steinmeier und Steinbrück, zeigt sehr deutlich, dass man sich hier darüber bewusst war – letztlich wurde diese Position auch genutzt. Die SPD versuchte sogar offensiv die am Ende wenig weitreichenden Zugeständnisse der Regierung als eigenen Sieg zu verkaufen. Demnach wird man sich jetzt vom politischen Gegenspieler einen solchen Vorwurf gefallen lassen müssen.

Dies führt aber zu einer essentiellen Frage: Wie soll sich die Opposition in Krisenzeiten gegenüber der Regierung verhalten? Bislang stand der Frame von Steinmeier im Vordergrund – die SPD sei eine Regierungspartei im Wartezustand. Der SPD Kurs richtete sich demnach auf Mäßigung und Verantwortung aus. Je näher die Bundestagswahl 2013 rückt und je mehr jede Sachentscheidung auf die Positionen der potenziellen Kanzlerkandidaten innerhalb der Troika reflektiert werden, desto eher kommt ein Trend zur Polarisierung auf. Die ersten Ansätze davon konnte man in den letzten Tagen und Wochen beobachten. Damit wird vor allem eine Dynamik in Gang gesetzt, die die offizielle Zeitplanung der SPD-Spitze konterkariert.

Ursprünglich war es geplant Merkels Gegenkandidaten – eine Kandidatin wird es ja wohl nach eigener Aussage nicht geben –  für das Kanzleramt nach der Wahl in Niedersachsen zu präsentieren. Damit verbinden sich zwei Kalküle: einerseits die Hoffnung, dass der Kandidat im Vorfeld nicht schon zerredet wird und andererseits, dass er nicht durch eine eventuelle Wahlniederlage schon beschädigt ist und später mit einem Klotz am Bein in den Bundestagswahlkampf starten muss. Doch so einfach machen die Medien es der SPD nicht. Denn was beobachtet werden kann ist, dass diese bislang jede politische Handlung der SPD als Erschütterung der Machtbalance der Troika interpretieren. Gabriel leistete sich einen Eklat beim Frauenkongress der SPD – Tenor: obwohl er als Mann der Partei gilt, wird er wohl so kein Kanzlerkandidat –, Steinmeier erleidet bei der ATALANTA-Abstimmung eine Niederlage – Tenor: Gabriel hat sie ihm absichtlich zugefügt –, wenn sich nicht gerade Altkanzler zu Wort melden, ist es sehr ruhig um Steinbrück geworden – wenig überraschend lautet der Tenor hier: so wird das aber nix.

Dabei wird häufig auf Gabriel geschielt. Will er wirklich Kanzlerkandidat werden? Umfragen sagen eine vernichtende Niederlage voraus – es kann ihm also vielmehr ‚nur‘ darum gehen, seine Position als Parteivorsitzender zu stärken. Gabriel muss Herr des Verfahrens bleiben, sonst endet er wie Kurt Beck 2008, nur das Gabriel kein Ministerpräsidentenamt als Trostpflaster bleibt. So steht die Frage im Raum, ob sich Gabriel selbst einen Gefallen mit der Oppositionsrolle tut, in die er die SPD gegen den Widerstand der Stones drängt. Nach der Sommerpause steht auf diesem Weg ein weiterer Meilenstein an. Die SPD berät dann über ein Rentenkonzept, das einen scharfen Richtungswechsel – der Milliarden kosten würde – einleitet. Die SPD würde damit weiter nach links rücken. Markant daran: Gabriel stand der Arbeitsgruppe vor, die das Papier erarbeitet hat. Während er selber gut mit dieser Positionierung leben kann, vergrößert dies die Lücke zwischen Steinmeier – bei Steinbrück kann man dann schon von einem Graben sprechen – und der Partei. Allerdings gilt Steinmeier noch als der Kandidat, der am ehesten Kompromisse versteht umzusetzen. Ist das Ziel Gabriels also Steinbrück zu verhindern, um Steinmeier als Kandidat von seinen Gnaden präsentieren zu können? Jedenfalls scheint es so, dass Gabriel hierfür die Schlüssel in der Hand hält. Er muss nur noch durch die Tür gehen.

Doch die dicksten Knüppel kann Gabriel sich noch selbst zwischen die Beine werfen. Denn er steht zweifelsfrei vor einem schwierigem Drahtseilakt: Die politischen Kräfte, die ihn stützen, zieht es nach links in Richtung einer klaren Abgrenzung zur Union. Dorthin kann er die SPD aber nicht führen, ohne dass einer der möglichen Kanzlerkandidaten Schaden nimmt. Dann wird in den Medien nur darüber geschrieben werden, wie schwer es Gabriel dem Kandidaten gemacht hat. Eine Person muss zu der parteipolitischen Programmatik passen. Letztlich werden so nur Spekulationen genährt, wie wenig die Stones noch eine linksausgerichtete SPD repräsentieren. Es ist also durchaus im Interesse Gabriels diese Diskussion nicht zu weit laufen zu lassen, stattdessen wird er sie wohl an einem engen Zügel führen. Dabei bleibt die Versuchung für Gabriel groß, dieser Diskussion um die parteipolitische Positionierung, was zweifelsfrei auch die Aufgabe eines Parteivorsitzenden ist, seinen Stempel aufzudrücken. Ein klassisches Dilemma.