glosse: alles super?

Das Interesse der Bürger an Politik nimmt offenbar immer weiter ab, das Vertrauen sinkt. Parteien beklagen Mitgliederschwund und jedes Jahr gehen tendenziell weniger Menschen an die Wahlurne. Aber warum ist das so? Vorwürfe, an denen die Politik nicht ganz unschuldig ist, zeigt ein Blick durch die Brille des politikverdrossenen Otto N.

Wieder mal ein Superwahljahr. Moment mal: Super? Wohl eher Dauerwahljahr. Es heißt ja schließlich auch Dauerwahlkampf. Denn noch bevor die ersten Plakate kleben, ist der Wahlkampf längst eingeläutet. Dass der dann zuweilen weniger dem Bewerben von Inhalten, als vielmehr oberflächlichem Balzgetöse gleichkommt, ist dabei offenbar egal. Hauptsache oft, Hauptsache laut – egal wann, egal wo, ob Land oder Bund, Europa oder Kommune. Apropos, wen interessiert denn eigentlich noch Föderalismus? Landespolitische Themen werden von der Berliner Tagesordnung konterkariert, Landespolitiker von der Berliner Elite in den Schatten gestellt. Umgekehrt wird ein schwäbischer Bahnhof auf einmal zur Chefsache im Kanzleramt. Hin und her, kreuz und quer. Wer soll denn da noch durchblicken? Und keiner weiß, was von dem Gesagten nach der Wahl nicht genauso schnell wieder in der Schublade verschwindet, wie es vor der Wahl aus eben dieser herausgeholt wurde. Vertrauen in Wahlversprechen ist doch nun wirklich an Naivität kaum zu überbieten. Denn plötzlich wird dann doch versucht, mit Parteien zu koalieren, die noch im Wahlkampf für eine „wie auch immer geartete Zusammenarbeit“ keinesfalls infrage kamen – natürlich um Inhalte durchzusetzen, keinesfalls des puren Machtinteresses wegen. Und sind die im Wahlkampf angepriesenen Vorschläge ernst gemeint, so zeichnet sich diese Ernsthaftigkeit durch eine erstaunlich überschaubare Halbwertszeit aus, die genau bis zur Koalitionsbildung reicht. Dann ist die Hälfte nämlich erst einmal futsch. Man solle sich ja bloß nicht einbilden, man wähle nur die Partei, die man ankreuzt. So werden aus angekündigten null bis zwei Prozent Steuererhöhung als Kompromiss schnell mal drei. Aber es ist ja auch „unfair“, wenn Politiker daran gemessen werden, „was in Wahlkämpfen gesagt worden ist“. Ach so, stimmt ja: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Mal im Ernst: Den Wähler kümmert’s! Der hat nämlich aufgrund dieses Geschwätzes sein Kreuzchen gemacht.

Aber man macht es sich ja auch zu einfach. Es sollte immer auch die Komplexität des Ganzen einbezogen werden – und wenn du deshalb nicht mehr weiter weißt, dann bilde einen Arbeitskreis! Der produziert dann vorzeigbare Ergebnisse. Zum Beispiel Dosenpfand auf Einwegflaschen, dessen Nutzen bis heute schleierhaft ist. Oder Öko-Sprit, von dem keiner weiß, wie „öko“ er wirklich ist und ob man mit der ersten

Tankfüllung nicht besser direkt zum Autohändler fährt. Wer entscheidet denn so etwas??? Im Parlament ist doch eh nur die Hälfte anwesend und davon wiederum die Hälfte nur halb bei der Sache. Und wozu dann noch ein Parlament? Man hat doch sowieso den Eindruck, dass die wirklichen Debatten nicht mehr im Plenum stattfinden, sondern sonntags nach dem Tatort. Und montags bis freitags mittlerweile auch. Politikern dürfte dieser Tapetenwechsel doch entgegenkommen. Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten ist die Möglichkeit der Selbstprofilierung garantiert – und das sogar zum Nulltarif. Schließlich gilt im politischen Betrieb das eherne Gesetz: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und wo lässt sich das Fähnchen besser nach dem Wind hängen, als im TV-Studio mit Betroffenen-Sofa vor einem Millionenpublikum? Ist doch viel bequemer. Stichwort „bequem“: Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschieden, wen ich das nächste Mal wähle. Ich wähle … gar nicht! Nicht wählen ist doch auch eine Wahl. Und vielleicht werde ich dann direkt Stammwähler. Davon soll es ja immer weniger geben. Ist doch super! Oder?

Otto N.

ist Mitte 40 und als Arbeitnehmer in einem deutschen mittelständischen Unternehmen tätig. Seinen Gedanken zum politischen Zeitgeschehen wird durch die hammelsprung Redaktion Ausdruck verliehen.