glosse: ethik alltäglich

Gähnend am Frühstückstisch, so sieht in der Regel mein Morgen aus. „Papa, warum ist der Mann da in der Zeitung voll Blut?“. Auch das gehört zu meinem Morgen: Die neugierigen Fragen meiner munteren 4-jährigen Tochter an ihren müden Papa. Eine Antwort fällt mir nicht ein. „Du, das weiß ich nicht“, mache ich es mir mit meiner Antwort leicht, denke jedoch weiter darüber nach. Einer Vierjährigen zu erklären, dass die Menschen in Libyen sich derzeit beschießen, auf der Suche nach diesem, na, wie war sein Name doch noch, Grafitti oder so. Das ist mir morgens zu kompliziert. Zu erklären, dass Menschen auf der Suche nach Freiheit ihr Leben lassen, das ist zu kompliziert. Oder doch nicht? Würde ich für Freiheit mein Leben lassen? Ich weiß es nicht.

„Ich mag die Marmelade nicht!“, jammert meine Tochter weiter. „Die wird gegessen!“, entgegnet meine Frau. „Die ist schließlich bio, das ist besser für dich. Bei diesen ganzen anderen Sachen weiß man doch nie was drin ist. Am Ende kommt die Billige aus Japan und ist radioinfiziert.“ Meine Frau guckt mich an. „Oder Schatz.“ Ich nicke ab, diese Diskussion will ich mir nicht noch einmal antun. Ich kann bio einfach nicht mehr hören. Aber klar, das soll nicht falsch rüber kommen, das sagt ja jeder, dass bio besser ist, auch diese Ministerin mit dem Trachtenoutfit, wie heißt die doch noch… Rössler oder so… Wie dem auch sei, bio ist besser, das weiß doch jedes Kind.

Auf dem Weg zur Arbeit bringe ich meine Tochter jeden Morgen in den Kindergarten. An diesem Tag laufen vor uns zwei Männer – eher gesagt ein Pärchen. „Du, Papa, warum halten die Männer sich fest?“, fragt meine Tochter. „Die haben sich lieb, obwohl das nicht normal ist“, antworte ich, erneut mit der Hoffnung, dass keine weiteren Fragen kommen. Ich sehe auch die Blicke der anderen Passanten, ältere Leute bleiben sogar stehen. „Diese Jugend!“, schimpft Herr Müller-Riebenzahn aus dem Kiosk an der Ecke und nickt mir freundlich zu. Ich nicke freundlich zurück.

Im Kindergarten kommen wir gleichzeitig mit Frau Grabowski und ihrem Liebling Jerèmy-Pascal an. Freundlich wie ich bin, halte ich der jungen Mutter, eigentlich der viel zu jungen Mutter, die Türe auf. Während ich dort stehe, und sie ein leises „Danke“ murmelt, denke ich, warum eigentlich immer alle von Gleichberechtigung reden, aber dennoch immer noch die Männer den Frauen die Tür aufhalten. Ein dicker Kuss an die Tochter, weiter geht es ins Büro.

An der Bank neben dem Gebäude, in dem die Zeitarbeitsfirma für die ich arbeite ansässig ist, ist großer Trubel. Sieht aus wie eine Demo. Dieses Bild sehe ich in der letzten Zeit öfter. Junge, rastalockentragende Veganer heben ihre Plakate und pfeifen dazu mit lauten Trillerpfeifen. Worum es geht? Keine Ahnung, sicher wieder dieser komische Bahnhof. Ach Quatsch, der war ja woanders. Dann ist es eben Griechenland. Während ich an den Protestanten, sowohl evangelisch als auch katholisch, vorbeimarschiere und mir die Ohren zu halte, frage ich mich wie so oft, warum alle immer so gerne nach Griechenland fahren, obwohl sich jeder über das Land ärgert. Ob ich mich über Griechenland ärger? Mir ist Griechenland eigentlich egal, zumindest war ich noch nie da.

Vor dem Gebäude in dem ich arbeite, sitzt wie immer der Obdachlose und bettelt. Letzte Woche war er einmal nicht da, da habe ich mir ganz ehrlich fast Sorgen um ihn gemacht. Aber da sitzt er ja wieder. Ich bin erleichtert, dann ist ja alles gut….

Nach der Arbeit freue ich mich schon total auf mein Feierabendbier. Und die Nachrichten, klar guck ich Nachrichten, man muss ja informiert sein. Aber heute ist echt gar nichts passiert. Nur dieser Baron, oder Graf, oder was auch immer der ist, auf jeden Fall dieser von und zu, der seine Doktorarbeit gefälscht hat. Komisch, eigentlich sieht der gar nicht wie ein Arzt aus. Warum regen sich eigentlich alle darüber auf? Ich finde die Story so langweilig, warum die Medien darüber den ganzen Tag berichten? Und dafür bezahle ich GEZ.

„Der Tank ist leer, du musst noch tanken fahren, Schatz“, befiehlt meine Frau. „Tank mal diesen neuen Sprit, der ist billiger,
dieses A10 oder so!“. Drei Bier hab ich schon auf, kurz überlege ich, ob ich noch fahren kann. Ach, was solls. Ist ja nur ein kurzer Weg zur Tanke. An der Tanksäule guckt mich eine olle Trulla mit Birkenstock böse an. „Wie können sie nur E10 tanken, wegen dieser Brühe verhungern woanders auf der Welt Kinder! Das gehört nicht in den Tank, sondern auf den Teller. Sie haben wohl noch nie etwas von Ethik gehört?“. „Ethik?“, frage ich verdattert. „Also damit habe ich nichts zu tun. Mein Name ist Lohse, ich tanke hier nur“.