Mediensensible Meinungsfreiheit

Wenn wir über Politik und Medien sprechen, dann häufig und im selben Atemzug auch über die einseitigen oder gegenseitigen Abhängigkeiten. Was scheinbar immer mehr in den Hintergrund rückt, ist die Frage nach der Meinungsfreiheit in diesem Zusammenhang. Mehr noch: Es scheint sogar einen Aspekt zu geben, der bisher vollkommen im Verborgenen geblieben ist: Die mediensensible Meinungsfreiheit.

Nun sind wir ein Land, in dem die freie Meinungsäußerung einen enorm hohen Stellenwert einnimmt. Inhaltlich wie geografisch weit entfernt von Debatten um entführte Journalisten und verfolgte Oppositionen wird sich auf einer sehr homogenen Basis leidenschaftlich darum gestritten, ob Thilo Sarrazin schreiben und sagen darf was er will oder ob man Mohammed karikieren darf. Es gibt Themen, da verstehen wir Deutschen keinen Spaß. Ausländer sind so ein Thema. Oder auch Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen. Kaum, dass jemand eine kritische Meinung in diese Richtung äußert, wird er von den Medien und der Gesellschaft in die Mangel genommen, bis er sich lautstark auf sein Meinungsäußerungsrecht beruft oder aber einen Rückzieher macht. Oft genug folgt ein Echo mit der Frage, ob die Meinungsfreiheit nicht in mancherlei Hinsicht an gewisse Grenzen stoße…

„Eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt…“

Um sich dem Thema anzunähern, hier also ein kleiner Exkurs zum Thema Meinungsfreiheit und wie es in unserer Gesellschaft gelebt wird. Was ist Meinungsfreiheit? Normiert in Artikel 5 des Grundgesetzes bildet sie die Grundlage der Pressefreiheit und damit allen journalistischen Arbeitens. Wir sprechen hier also von einem Menschenrecht, von dem das Bundesverfassungsgericht einmal sagte, es sei unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft und damit eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Außerdem sei es für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Diese Gewichtung ist sicherlich auch vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit zu betrachten, nach Erfahrungen wie denen im nationalsozialistischen Deutschland oder auch in der DDR. Eine solch stark gewichtete Meinungsfreiheit ist nicht überall in der Welt selbstverständlich. Laut dem Demokratieindex der NGO Freedom House gibt es auf der Welt weniger Länder, in denen Meinungsfreiheit nach unserem westlichen Verständnis gelebt wird, als solche, in denen Repression und Unterdrückung auf Oppositionäre wartet.

Grenzen, Schranken und Hürden

Doch wo liegen nun die Grenzen? Juristisch betrachtet findet das Recht auf freie Meinungsäußerung seine Schranken nur in anderen Gesetzen, also da, wo höher- oder gleichrangige Güter geschützt werden müssen: Die Jugend, der Staat oder auch die persönliche Ehre. Aber wie so oft in der Juristerei ist das natürlich Auslegungssache – denn wo beginnt und wo endet schon die persönliche Ehre? Auch hier hat das Verfassungsgericht den Versuch einer Definition unternommen: Demnach schütze das Recht der persönlichen Ehre vor Kritik, bei der anstelle einer sachlichen Diskussion oder Kritik die Diffamierung der jeweiligen Person im Vordergrund steht. Also so genannte Schmähkritik, jede Form der Beleidigung oder auch die Erwähnung in ehrverletzendem Zusammenhang. Das bedeutet im Klartext, wenn sich jemand durch eine Äußerung in seiner persönlichen Ehre gekränkt fühlt, dann muss man das erst einmal so hinnehmen – es sei denn es handelt sich um eine wahre Tatsachenbehauptung. Und zwar erwiesenermaßen wahr, bei so genannten unwahren Tatsachenbehauptungen ist man auch schnell bei Verleumdung oder übler Nachrede gelandet. Doch das führt zu weit – wichtig erscheint zunächst einmal, dass die Schranken der Meinungsfreiheit recht weit ausgelegt werden können.

Politiker als Meinungssklaven

Was passiert also, wenn ein „heikles“ Thema auf die tagespolitische und mediale Agenda drängt? Jeder, wirklich jeder politische Akteur, der auch nur im Entferntesten mit der Thematik in Verbindung gebracht werden kann, äußert sich öffentlich. Er gibt ein Statement ab, mit dem er sich gegebenenfalls distanziert, in jedem Fall aber geschickt positioniert. Welche Aspekte spielen bei der Ausarbeitung der Position eine Rolle? Parteipolitische Färbung selbstverständlich, Maß der eigenen Betroffenheit auch, vielleicht etwas strategisches Machtkalkül und mit Sicherheit – um zu unserem eigentlichen Thema zu kommen – die öffentliche oder besser die veröffentlichte Meinung. Denn was kann schlimmeres passieren, als dass sich ein Politiker durch eine unbedachte Meinungsäußerung zu einem heiklen Sachverhalt selbst ins Kreuzfeuer diverser großer Presseerzeugnisse katapultiert? Und so kommt es, dass vor dem Hintergrund einer einfachen und vom Grundgesetz geschützten Meinungsäußerung die Abwägung diverser machtpolitischer Erwägungen in den Vordergrund rückt, bis seltsamerweise die Mehrheit der Politiker im Sinne des Mainstream angepasst argumentiert. Die mediensensible Meinungsäußerung ist dann lediglich ein weichgespültes, politisch korrektes Allerweltsgeschwätz, das niemandem weh tut – am wenigsten der eigenen Karriere.

Ist mal wieder das System schuld?

Ja. Schade eigentlich. Wir leben in einem politischen System und in einer Gesellschaft, um die wir uns durchaus beneiden lassen dürfen. Es herrschen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit (nicht zu verwechseln mit Gerechtigkeit) und Menschenrechte vor, der Pluralismus bildet die zumindest staatstheoretische Grundlage. Und doch lassen wir zu, dass unsere Politiker zu Mitläufern der vermeintlichen Mehrheitsmeinung werden, zum Wohle des Amtes. Und diese Mehrheitsmeinung, die öffentliche Meinung, durchläuft die Zensur der Medien und wird somit zur veröffentlichten Meinung, der Meinung, vor der unsere Politiker eine solche Angst haben. Und dabei hat jedes Amt seine ganz spezifischen medialen Meinungsschranken. Der Bundespräsident muss sich an anderen moralischen Voraussetzungen messen lassen als die Bundeskanzlerin. Sie muss wiederum besser aufpassen was sie sagt, als ein Mitglied einer Oppositionspartei oder gar einer Partei wie den Piraten. Und man kann jeden von ihnen verstehen – denn hast du die Medien gegen dich, hast du fast schon verloren.

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