Kann eine Kunststofftüte besser sein als eine Papiertüte?

Mit einer Richtlinie verbietet die EU ab 2021 Wegwerfartikel aus Plastik. Aber wirkt das auch? Und was muss noch getan werden. Dr. Holger Berg vom Wuppertal Insititut im Interview.

Das Thema Plastikvermeidung und der richtige Umgang mit kunststoffhaltigen Produkten bestimmt nicht nur die politische, sondern auch die alltägliche Agenda in vielen deutschen Haushalten. Jutebeutel oder doch der schnelle Griff zur Plastiktüte? Wer kennt nicht das schlechte Gewissen beim Griff zum Plastikbecher montagmorgens beim Bäcker? Die wachsende Flut an Kunststoffmüll ist jedoch nicht nur ein deutsches Problem. Sie ist eine europäische, eine weltweite Herausforderung.

Die unlängst vom EU-Parlament beschlossene europäische Plastikrichtlinie sieht unter anderem ein Verbot von Strohhalmen, Geschirr, Luftballonhaltern und anderen Einwegprodukten aus Kunststoff vor. Diese Artikel machen mehr als siebzig Prozent des Kunststoffmülls aus, der in unseren Weltmeeren schwimmt. Das Beispiel zeigt, wie sich die Politik der Europäischen Union unmittelbar auf unseren Alltag auswirkt.

In wenigen Tagen steht die Wahl des Europäischen Parlamentes an und „Plastik“ – wie man es umgangssprachlich nennt – ist natürlich auch ein Thema. Sogar die CSU und Manfred Weber haben es auf die Agenda gesetzt.

In der heißen Phase des Wahlkampfes fragen wir noch einmal nach: Welche Wirkungen können die Maßnahmen der EU wirklich erzielen und welcher Weg muss noch gegangen werden? Auch der nationale Blick ist von Interesse: Werden innerhalb Deutschlands bereits genügend Maßnahmen getroffen? Dr. Holger Berg ist Projektleiter in der Abteilung Kreislaufwirtschaft des Wuppertal Instituts und Experte im Bereich Plastikvermeidung. Er klärt auf.

Herr Dr. Berg, in einem Interview mit radiobremen sagten Sie, dass die neue EU-Plastikrichtlinie nur ein Anfang sei, bestenfalls Symbolpolitik. Was müsste Ihrer Meinung nach noch passieren?

Berg: Die EU hat sich gerade im Bereich des single use plastic, wo es um Verbote von einzelnen Produkte wie Strohhalmen oder Ballonhaltern geht, erst einmal die Produkte vorgenommen, die leicht zu ersetzen sind und bei welchen es bereits Ersatzprodukte gibt. Das ist gut aber das ist noch viel zu wenig. Wir müssen uns noch viel mehr Gedanken darüber machen, wo sich auf der Produktebene Kunststoff stärker standardisieren lässt. Das heißt: Wo kann man besser in Richtung Vermeidung und Wiederverarbeitung arbeiten? Vor allem muss man aber die Konsumenten, das heißt Bürger, Entsorger, Plastikverarbeiter und Produzenten an einen Tisch holen und damit auch alle konkret zur Verantwortung ziehen.

Die EU-Plastikrichtlinie sieht vor, dass Plastikflaschen bis 2030 dreißig Prozent recyceltes Plastik enthalten sollen. Auch soll bis 2029 eine Sammelquote von neunzig Prozent erreicht werden. Für wie realistisch halten Sie diese Ziele?

Berg: Das ist realistisch. Es braucht jedoch einen großen Willen. Letztlich muss man dann die Instrumente bewusst einführen, die auch dafür sorgen können, dass es klappt. Das sind zum Beispiel Pfandsysteme. Man wird da entsprechende Regularien benötigen. Sowohl Produzenten als auch Verbraucher müssen hier entsprechend eingebunden werden – beispielsweise über Rücknahmesysteme.

Also eine Ausweitung des Pfandsystems?

Berg: Ja, wir sehen besonders im Bereich von PET-Flaschen, aber auch von Glasflaschen, dass Pfandsysteme eine erhebliche Wirkung haben und in dem Bereich auch sehr gute Recycelsysteme überhaupt erst ermöglichen.

CSU-Politiker Manfred Weber tritt bei der EU-Wahl als Spitzenkandidat der EVP für das Amt des Kommissionspräsidenten an. Im Wahlkampf warb er für ein weltweites Verbot von Einwegplastik. Er sprach von einem „globalen Vertrag zum Verbot von Einweg-Kunststoffen“. Für wie sinnvoll und umsetzbar halten Sie diesen Vorstoß?

Berg: Grundsätzlich ist es immer gut, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man Einwegsysteme abschaffen kann, wenn sie denn schädlich sind. Wichtig ist, dass es immer in Richtung Vermeidung gehen muss. Immer da, wo man überflüssiges Material einsparen kann, sollte das auch passieren. Der nächste Schritt, den man gehen kann, ist, dass man sich fragt: Wo ist Mehrweg sinnvoll und wo ist Mehrweg auch wirklich ressourceneffizient?

Was würden Sie einer Partei im EU-Wahlkampf raten? Welche Maßnahmen sollten sie mit auf die Agenda nehmen, um Plastikvermeidung weiter voranzutreiben?

Berg: Ich würde mir besonders wünschen, dass man differenziert auf Kunststoff schaut. Kunststoffe können in vielen Fällen eine sehr ökologische Lösung sein. Sie sind nicht generell zu verteufeln, was im Moment zu viel passiert. Bestes Beispiel ist die Kunststofftüte, die so sehr in Verruf geraten ist, die aber ökologisch betrachtet viel besser ist als eine Papiertüte. Dann wäre es mir auch wichtig, dass man verstärkt auf Systemlösungen schaut: Wo verhindert Kunststoff vielleicht auch foodwaste? Sicherlich sollte man auch das Thema Vermeidung, Reparieren (reuse) oder Remanufacturing und damit Wiedernutzung mehr in den Fokus nehmen.

Deutschland ist aktuell Europameister beim Verpackungsmüll. Bei den Recyclingquoten sind wir mit fünfzig Prozent jedoch auch Spitzenreiter in Europa. Seit Anfang des Jahres 2019 gilt das neue Verpackungsordnungsgesetz. Bei Plastikverpackungen soll der gesetzlich vorgegebene Wert zur Wiederverwendung von aktuell 36 Prozent auf dann 63 Prozent im Jahr 2022 steigen. Wird bereits genug gemacht, um diese Ziele zu erreichen?

Berg: Ich bin aktuell skeptisch. Was wir auf der einen Seite sehen, ist tatsächlich, dass von Regierungsseite sehr viel gemacht wird, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr viel einfordern, dass die Industrie und die Wirtschaft sich auf den Weg machen, etwas zu tun. Das ist aber nicht immer koordiniert und auch nicht immer widerspruchsfrei. Was das Verpackungsgesetz angeht, muss man einfach sagen, dass es im Moment noch zu unspezifisch ist. Es ist das eine, eine Registrierung und ebenfalls Recyclingquoten zu fordern aber letztendlich gehört dann auch dazu, Ross und Reiter zu nennen und damit auch die Verantwortlichen. Wer ist denn dafür verantwortlich, dass wir diese 63 Prozent erreichen? Was muss die Industrie leisten, was die Händler und Bürger? Das muss spezifiziert werden.

Neben der Neuauflage des Verpackungsgesetztes hat Svenja Schulze den 5-Punkte-Plan für Plastikmüllvermeidung aufgestellt. Was wäre Ihr sechster Punkt?

Berg: Der 5-Punkte-Plan ist erst einmal gut. Er konzentriert sich jedoch sehr stark auf Vermeidung und Recycling. Ich würde mir wünschen, dass der Vermeidungsbereich auch ganz praktisch gestärkt wird durch Angaben, wo man Kunststoff schlicht und einfach weglassen kann. Außerdem würde ich mir wünschen, dass auch andere Instrumente der Kreislaufwirtschaft betrachtet werden – wie zum Beispiel Wiederverwendung, Langlebigkeit und Qualitätsfragen, die damit verbunden sind.

Dr. Holger Berg arbeitet seit 2013 am Wuppertal Institut. Dort ist derzeit Projektleiter im Bereich Kreislaufwirtschaft. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement Innovation, Unternehmertum (Entrepreneurship) und Ressourceneffizizenz.

 

Das Interview führte Linda Diana Meiß

Linda Diana Meiß studierte in Düsseldorf Sozialwissenschaften, Medien, Politik, Gesellschaft an der HHU und ist seit 2018 Masterstudierende an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte sie im Bereich der Umweltpolitik sowie der Politischen Kommunikation.