Krise statt Koalition – Weil Inhalte doch relevant sind

Auf der Website von AfD Kompakt, der Parteizeitung der Alternative für Deutschland, war vor der Bundestagswahl 2017 Folgendes zu lesen: „Die Altparteien sind ein uniformer Parteienblock ohne inhaltliche Konturen. Nach außen versucht man, dem Wähler einen Wahlkampf vorzuspielen. Am Ende ist es Ihnen [sic!] egal welche Inhalte mit welchem Koalitionspartner umgesetzt werden. Inhalte egal, Farbe egal, alles egal. Hauptsache: Posten. Hauptsache: An der Macht.“

Nach der Wahl sondierten Union, FDP und Grüne über ein mögliches Regierungsbündnis. Einen Monat dauerten die Verhandlungen an, dann brachen die Freien Demokraten die Gespräche überraschend ab und stürzten Bundeskanzlerin Angela Merkel so in die wohl schwerste Krise ihrer zwölfjährigen Amtszeit. Die Bundesrepublik stand damit vor unübersichtlichen politischen Verhältnissen. Wer Deutschland künftig regieren soll, war lange Zeit völlig offen. Doch welche Ziele und Interessen verfolgen Parteien hinsichtlich der Bildung von politischen Bündnissen? Antworten auf diese Frage finden sich in der politikwissenschaftlichen Koalitionstheorie.

Zunächst galt in den 1960er Jahren das „office seeking“ als entscheidendes Motiv. Parteien streben also danach, ihren Mitgliedern möglichst viele einflussreiche politische Posten – beispielsweise im Kabinett – zu sichern. Diese rein ämterorientierten Koalitionstheorien sahen sich jedoch bald mit dem Vorwurf der Politikblindheit konfrontiert, weil die Unterschiede der ideologischen und politischen Standpunkte der Akteure keine Berücksichtigung finden. Die Kritik scheint berechtigt. Ein Blick in die bundesdeutsche Vergangenheit zeigt, dass Parteien dazu tendieren mit ihnen politisch nahestehenden Partnern zu koalieren. Besteht größere ideologische Distanz, sind Bündnisse auf Landes- oder Bundesebene die klare Ausnahme.

Aufgrund dieser Schwächen wurden in den 1970er Jahren „politiksuchende“ Ansätze entwickelt. Das Ziel des „policy-seeking“ – also die konkrete Umsetzung von politischen Positionen und Inhalten – rückte in den Vordergrund. Ob eine Partei einem Bündnis beitritt, hängt folglich primär davon ab, inwiefern sie innerhalb dieser Koalition die Möglichkeit hat, das Regierungsprogramm hinsichtlich ihrer eigenen Vorstellungen zu beeinflussen.

Vor den Sondierungsgesprächen hatte FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff erklärt eine neue Finanzpolitik sei wichtiger als der Posten des Finanzministers. Auch nach deren Scheitern nannten Vertreter der Liberalen neben einer fehlenden Vertrauensbasis vor allem inhaltliche Differenzen als Grund für den Abbruch der Verhandlungen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann klagte, die Anliegen und Themen der FDP seien in den Gesprächen nicht ernst genommen worden und nannte die Energiepolitik und die geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlags als Beispiele. In der Partei bestand nach Aussage von Christian Lindner die Wahrnehmung, man hätte in einer „Jamaika-Koalition“ lediglich als Mehrheitsbeschaffer für ein im Kern schwarz-grünes Bündnis fungiert.

Dabei sei laut Generalsekretärin Beer eine Koalition mit den Unionsparteien inhaltlich durchaus möglich gewesen – jedoch nicht mit den Grünen. Auch Lindner hält die Unterschiede zwischen CDU/CSU und Liberalen für überbrückbar. In der Sozial-, Steuer- oder Umweltpolitik besteht zwischen diesen Partnern nach wie vor eine vergleichbar große Nähe. Demgegenüber liegen die Programme von FDP und Grünen in vielen Punkten weit auseinander. Auch aus den veröffentlichten Sondierungspapieren lassen sich deutliche Differenzen zwischen den Parteien ablesen.

Gemäß dieser Aussagen war ein gewichtiger Grund für den Abbruch der Verhandlungen, dass die Freien Demokraten im Rahmen einer „Jamaika-Koalition“ wenig Möglichkeiten sahen ihre eigenen Forderungen durchzusetzen. Gleichzeitig verliert die Partei durch diesen Schritt jedoch die Aussicht auf einflussreiche politische Posten.

Damit zeigt das Scheitern der Sondierungsgespräche einmal mehr, dass die Regierungsbildung nicht alleine durch das Ziel der Ämtermaximierung bestimmt wird. Die etablierten Parteien sind eben nicht austauschbar, sondern verfolgen unterschiedliche politisch-inhaltliche Ziele und nehmen den Wählerwillen durchaus ernst.

Im Gegensatz zu den älteren Ansätzen tragen neuere Koalitionstheorien dieser Tatsache Rechnung und gehen davon aus, dass Parteien auf der Suche nach potenziellen Bündnispartnern sowohl ämter- als auch politikmotiviert sind.

Es geht also nicht nur um Posten – Inhalte sind doch relevant!

Ein Essay von Felix Müller.

Felix Müller

Felix Müller absolvierte seinen Bachelor in Passau und Cardiff. Seit 2016 ist er Masterstudent der NRW School of Governance. Zuletzt arbeitete Müller unter anderem in der Kontakt- und Informationsstelle des Bayerischen Landtags in Brüssel sowie als wissenschaftliche Hilfskraft für Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte.