Medienkanzler – nur eine Modeerscheinung?: Ein Kommentar

Spaßkanzler, Gottschalk-Gau, Medienkanzler. Diese Begriffe stehen für eine Ära, die vor allem Gerhard Schröder mit seiner Kanzlerschaft geprägt hat. Doch was bedeuten sie und, viel wichtiger, was bleibt davon?

Man stelle sich folgende Szenerie vor: Ein großer Raum, in dem das Scheinwerferlicht sich zielbewusst an einem bestimmten Platz trifft und überlagert. Alle Kameras sind auf die Mitte des Raums, welche quasi als Manege des Studios fungiert, gerichtet. Das Publikum bleibt zunächst unbeachtet im Dunkel des Hintergrunds. Es erwartet Unterhaltung, oder, um noch etwas weiter zu gehen, Bespaßung. Eine Szenerie, die man sich sehr gut in einer Samstagabend-Sendung vorstellen kann. Doch im Mittelpunkt steht diesmal kein Moderator oder Künstler, sondern ein Politiker, der Bundeskanzler.

Mehrfach zeigte sich Gerhard Schröder während seiner Amtszeit als Kanzler in dieser Manier. Nicht umsonst schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass „mit Schröder die deutsche Politik wirklich gottschalkkompatibel geworden“ sei. Es war alles ein großes Spiel, eine Inszenierung des puren Nichts.

Wo bleiben die Werte der Politik?

Was auf der Strecke blieb, war die Seriosität der Politik. Dieses kleine Wort, welches doch so stark in seinem Gehalt wirkt. War Schröders Haarfarbe wirklich wichtiger als horrende Arbeitslosenzahlen oder Kriege auf dem Balkan? Es scheint, als ob ein Mann große, drängende Probleme des Landes nur durch seine Anwesenheit vergessen macht. Als ob es sie in diesem Augenblick gar nicht gäbe. Im Fußball würde man solch eine Person womöglich Lichtgestalt nennen.

Dennoch vertreten Politiker, und allen voran der Bundeskanzler, das deutsche Volk. Zumindest sollten sie es. Eine Aufgabe mit sehr viel Verantwortung. Allerdings könnte man den Eindruck gewinnen, dass eben dieser Wert der Politik, verantwortungsbewusst und klug im Sinne des Volkes zu handeln, durch derlei mediale (Schau-)Inszenierungen zerfällt. Die „wahre“ Realität, der harte Inhalt des Politikgeschäfts, weicht scheinbar mühelos einer Art „Schein“-Realität, einem modernen Paradies. Politisch ausgedrückt: Darstellungspolitik überlagert Entscheidungspolitik, ja negiert diese fast.

Das Realitätskonstrukt der Medien

Diese Realität wurde konstruiert. Verantwortlich dafür: hauptsächlich die Medien. Diese haben die Realität nicht nur verzerrt, sondern gänzlich neu entworfen. Eine Wirklichkeit, unabhängig von den Medien, existiert schlicht nicht mehr. Auch keine Politik! Zumindest sieht dies der große Soziologe Niklas Luhmann so.

Doch, um zum Kern der Problematik zurückzukehren, entspricht diese Medientheorie nicht ganz der Wahrheit. Sie darf es nicht! Dennoch besteht die latente, aber durchaus reale Gefahr, dass der Kanzler das Spiel mit den Medien, die Macht über die „Kanzlermedien“, seine Medien, verliert. Er könnte selbst lediglich Spielball im großen Champions-League-Spiel werden, um bei der Fußballmetapher zu bleiben. Noch glauben Politiker allerdings, dass ihre Machtzentren stärker sind als Kommunikationszentren.

Entscheidungsschwäche der Politik

Wie viel Substanz hat die Politik noch? Wenig, will man meinen. Sie ist entscheidungsschwach, denn dann flüchten die Politiker in die mediale Ersatzwelt. Diese erschaffen sich einen eigenen Kosmos, in dem sie sich so darstellen, als seien sie jemand mit Gewicht und Weisheit. Medienkanzler und Kanzlermedien arbeiten dann Hand in Hand. Es herrscht eine ständige gegenseitige Beeinflussung. Langfristige Strategien existieren nicht mehr, abgesehen vom Ziel der Wiederwahl. Politische Macht soll durch Medienerfolg erhalten werden. Ist also jemand, der sich diesen Gesetzen nicht beugt, zur Erfolglosigkeit verdammt, ein politisches Nichts?

Was bleibt?

Dieses „System Medienkanzler“ wurde von Gerhard Schröder geprägt. Mit ihm stieg und fiel es scheinbar. Seine Nachfolgerin als Bundeskanzlerin, Angela Merkel, passt nicht so recht zum inszenierten Gepolter ihres Vorgängers. Sie hält sich im tagespolitischen Ablauf eher bedeckt. Dennoch ist dieses System zu einem Machtfaktor geworden. Man bedenke nur die unentwegt erfolgreichen Polit-Talkshows wie auch das zu den Wahlen fast schon obligatorisch gewordene Fernsehduell. Doch das System existiert nicht mehr wie unter Schröder. Kanzlerin Angela Merkel zeigt, dass nicht die Medien die „Realität“ konstruieren, sondern immer noch die Politik.

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