moral ade – politiker a. d.

Rücktrittsforderungen, tatsächliche und ausgebliebene Rücktritte: Sobald das Wort Skandal zu hören ist, ertönt auch schon der Ruf nach personellen Konsequenzen. Skandale sind mächtig, sie sind unterhaltend und sie sind vor allem unehrlich. Bitte ändern!

 

Es muss nicht immer eine heimliche Geliebte sein. Ob Spendenaffäre, Flugkostenabrechnungen oder Badehose statt Uniform: Es gibt viele Formen von Skandalen. Nicht jeder Skandal ist es würdig, so genannt zu werden. Dennoch haben Skandale manch einem Politiker schon den Job, wenigstens den guten Ruf gekostet.

Die Gesellschaft will alles: All inclusive, barrierefrei und unbegrenzt

Die Gesellschaft will unterhalten werden. Sie will gut regiert werden und gleichzeitig individuell entscheiden, was gut ist und was nicht. Sie wünscht sich mehr Verständnis und Offenheit für individuelle Bedürfnisse und will teilhaben am Leben der anderen. Die Gesellschaft will den Politiker mit Ecken und Kanten, aber mit Kanten, an denen man sich nicht stoßen kann. Der Gesellschaft alles Recht machen – kein leichtes Unterfangen. Die Gier nach Unterhaltung scheint immer größer und die Medienwelt gleichzeitig immer mächtiger zu werden. Insbesondere das Internet sorgt dafür, dass die Menschen schon vieles gesehen, gehört oder gelesen haben. Aufmerksamkeit zu erlangen, ist daher nicht leicht. Die Politik scheint sich diesem Wettbewerb immer mehr anzunehmen. Angeblich auf Kosten der Inhalte. Aber ist das nicht genau das, was die Medien wollen?

Skandal sells!

Politik kann Auflage und Einschaltquoten bringen. Aber vor allem, wenn ein Politiker eines Fehlverhaltens überführt werden kann! Affären, Scheidungen oder käufliche Liebe sind in der Öffentlichkeit schon lange kein Tabu mehr. Hat man vor Jahrzehnten noch über diese Themen nur mit vorgehaltener Hand gesprochen, schlachtet man heutzutage jeglichen Verdacht einer nicht ganz legitim wirkenden Liebesbeziehung tagelang aus. Pikante Überschrift, großes Foto, echte Gefühle! Das gleiche Rezept funktioniert aber auch bei anderen Fehltritten von Politikern. Nicht jeder Skandal ist ein Sexskandal. Aber häufig wird auch hier das Moralische eher unmoralisch hochgehalten. Per definitionem spricht man von einem Skandal, wenn eine moralische oder justiziable Verfehlung eines meist prominenten Systemmitgliedes vorliegt, diese enthüllt und eine breitgefächerte Empörung darüber ausgelöst wird. Doch was ist in heutigen Zeiten noch moralisch? An welchen Werten kann die Trias von Skandalierern, Skandalierten und Skandal-Rezipienten ihr Bewertungssystem ausrichten, um ein Fehlverhalten zu beurteilen?

In welchem Fall kommt es zum Fall?

Rudolf Scharpings Versuch, sein Image aufzupolieren, scheiterte spektakulär. Mit Blick auf den bevorstehenden Kampfeinsatz der Bundeswehr war die öffentliche Empörung über die Fotos, die ihn beim Planschen und Turteln im Sommerurlaub zeigten, groß. Der Pool-Skandal wurde vielseitig diskutiert, der Imageaufbau war misslungen und der Tenor deutlich: „Sowas gehört sich nicht!“

Karl-Theodor zu Guttenberg hingegen verstand sich im Inszenierungsmanagement um einiges besser. Selten wurde ein Politiker mit so vielen Superlativen überschüttet wie der CSU-Politiker aus fränkischem Adelsgeschlecht. Immer wieder sah er sich mit Vorwürfen und Kritik an seinem Krisenmanagement oder seinem Inszenierungsdrang ausgesetzt. Aber erst die Plagiatsaffäre führte zu seinem Rücktritt. Die moralische Verfehlung sei zu groß gewesen. Er könne kein Vorbild sein.

Wer die öffentliche Diskussion verfolgt hat, weiß, dass Guttenberg selbst ein ganz anderes Verständnis von Moral geltend machen wollte, als es zum Beispiel die Opposition tat. Die Kanzlerin unterstütze ihn und sprach von einer Verlogenheit der Opposition. Den Medien warf Guttenberg eine falsche Prioritätensetzung vor und verurteilte, dass die Medien vor lauter Skandalisierung angeblich den Sinn für das Wesentliche, nämlich das Wohl der Bundeswehr, aus den Augen verloren hätten. Die öffentliche Diskussion war voll von Begriffen wie „Moral“ und „Werte“. Jeder Akteur schien aber eine andere Definition dieser Begriffe zu verwenden – welche, blieb oft unklar. Am Ende stand nur eines fest: Der Rücktritt von Guttenberg. Er war „politisch nicht mehr tragbar“.

Man könnte auch Christian von Bötticher fragen, was er von dieser Floskel hält. Auch er wurde Opfer eines Skandals. Auch er war nach seiner Affäre mit einer 16-jährigen nicht mehr „politisch tragbar“. Rein rechtlich ging die Liaison in Ordnung. Parteifreunde, ein großer Teil der Öffentlichkeit und vor allem die politischen Gegner wollten das nicht gelten lassen.

Aber unabhängig, ob einer dieser drei Politiker tatsächlich einen Fehler gemacht hat und nicht mehr in der Lage war, sein politisches Amt auszuüben, fehlt es an einer ehrlichen Diskussion. In der sich stetig wandelnden Gesellschaft fällt es schwer, einen „Common Sense“, eine tatsächliche Werte-Fibel, zu finden. Die Richtskala scheint sich stetig zu ändern – oftmals sehr dynamisch und flexibel, so wie es einzelnen Akteuren gerade nutzt.

Wer wirft den ersten Stein?

Skandale wird es immer geben. Es wäre fatal, wenn Fehlverhalten und Missstände nicht mehr thematisiert würden. Aber der richtige Umgang darf von allen Beteiligten erwartet werden. Es muss eine ehrliche Diskussion über Werte und Moral angestoßen werden. Was sind die Richtlinien, die in der heutigen Gesellschaft gelten? Das stetige opportunistische Ruminterpretieren von Begriffen kann nicht die Lösung sein. Natürlich soll kein Wertesystem diktiert werden und natürlich sollen verschiedene Vorstellungen existieren. Aber bevor man anfängt, moralische Appelle zu verkünden und „Rücktritt, Rücktritt“ zu rufen, sollte man über die Art und Weise und über die Ehrlichkeit, die hinter den eigenen Worten steckt, nachdenken. Jeder einzelne Akteur sollte das für sein Tun und Handeln machen. Das wiederrum ist gewiss keine neue Forderung. Aber eine, an die man sich heutzutage öfter erinnern sollte. Leichter gesagt als getan.

Ein Beitrag von Dr. Alexander Grieswald aus dem Jahr 2011. Heute ist er Head of Sales Promotion & Trainings Tied Agencies bei der AXA Konzern AG.