müssen nordrhein-westfalens bürgermeister bald um ihren posten fürchten?

In Nordrhein-Westfalen wird zurzeit diskutiert, ob der Bürger das Recht erhalten soll, per Bürgerbegehren ein Abwahlverfahren gegen direkt gewählte Bürgermeister beziehungsweise Landräte zu initiieren. Aber wie könnte solch ein Bürgerbegehren aussehen und droht es damit zur Tagespolitik zu werden?

Am 24. Juli 2010 fand auf einem zu kleinen Gelände für zu viele Besucher die Loveparade in Duisburg statt, bei der 21 Menschen zu Tode gedrückt wurden. Viele Bürger sahen die politisch-moralische Schuld vor allem bei ihrem Oberbürgermeister, der sich im Vorfeld massiv für die Loveparade eingesetzt hatte und starteten eine  Unterschriftenaktion, um den Rat zu überzeugen, ein Abwahlverfahren einzuleiten. Denn in Nordrhein-Westfalen darf nur der Rat mit einer Zweidrittelmehrheit ein Abwahlverfahren des Hauptverwaltungsbeamten – dem Oberbürgermeister – beschließen. Anschließend müssen mindestens 25 Prozent der wahlberechtigten Bürger einer Abwahl per Bürgerentscheid zustimmen. Innerhalb von einem Monat wurden über 10.000 Unterschriften gesammelt und der Stadtspitze übergeben. Aber nur wenige Tage später lehnte der Rat die Einleitung des Absetzungsverfahrens ab. Die nötige Zweidrittelmehrheit war nicht zustande gekommen. Trotz der Bekundung zahlreicher Bürger, vom amtierenden Oberbürgermeister nicht mehr repräsentiert werden zu wollen, musste die Entscheidung des Rates hingenommen werden. Dabei gibt es mit Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein bereits drei Bundesländer, in denen auch die Bürger ein Absetzungsverfahren mit einem Bürgerbegehren einleiten können. In allen drei Ländern besteht für das Bürgerbegehren ein bestimmtes Initiativquorum und für den anschließenden Bürgerentscheid ein Zustimmungsquorum. Bei einem Quorum muss immer eine bestimmte Mindestanzahl an wahlberechtigten Stimmen erzielt werden, damit die Abstimmung gültig ist.

Pro und Contra Bürgerbegehren

Befürworter sehen in der Einführung von Bürgerbegehren eine logische Konsequenz. Die Direktwahl des  Bürgermeisters stellt eine hohe Legitimation und einen großen Vertrauensbeweis für den Kandidaten dar. Der Wähler drückt damit aus, dass er dem Kandidaten Führungsqualitäten, fachliche Kompetenz und Integrität zutraut. Wenn aber das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und seinem gewählten obersten Vertreter durch schwerwiegende Verfehlungen gestört ist, sollte der Bürger dann nicht das Recht haben, ein Abwahlverfahren einleiten zu können? Denn wenn, wie in Duisburg, trotz des Wunsches der Bürger für eine Abwahl die nötige Zweidrittelmehrheit im Rat nicht zustande kommt, könnte das einen zusätzlichen Vertrauensverlust für das politische System bedeuten. Es erhärtet sich der Eindruck, dass „die da oben“ sowieso machen können, was sie wollen, ohne Rücksicht auf die Belange der Bürger nehmen zu müssen. Indem der Wähler aber selber über ein Einleitungsverfahren entscheidet, kann verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden.

Die größte Gefahr einer solchen Regelung ist jedoch, dass die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Verwaltungsarbeit gefährdet wird, wenn der politische Gegner permanent mit einem Abwahlverfahren per Bürgerbegehren drohen kann. Gerade weil Politiker auch unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, darf nicht zu jedem Zeitpunkt ein mögliches Abwahlverfahren im Wege stehen. Zudem besteht das Risiko, dass kurzfristige Emotionen über empfundene Verfehlungen dazu führen, dass sich der Bürgermeister mehr mit Abwahlverfahren beschäftigen muss, als mit seiner politischen Arbeit. Das würde die Handlungsfähigkeit der Kommune erheblich schwächen.

Wie kann eine Lösung für NRW aussehen?

Vor allem Brandenburg eignet sich als gutes Vorbild für Nordrhein-Westfalen, weil es das einzige Bundesland mit gestaffelten Quoren für ein Einleitungsverfahren ist. Je nach Gemeindegröße variiert es zwischen 15 bis 25 Prozent.  Beim anschließenden Bürgerentscheid müssen mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten dem Antrag zustimmen. Untersuchungen zeigen, dass die Quoren ausreichen, um zu viele Abwahlverfahren zu verhindern und dem Bürger trotzdem die Möglichkeit lassen, ein Abwahlverfahren einzuleiten. So gab es in Brandenburg seit Bestehen der Regelung von 1993 bis 2008 34 Abwahlverfahren per Bürgerbegehren, von denen 23 erfolgreich waren. Daran sieht man, dass der Bürger verantwortungsvoll und nicht willkürlich mit der Bürgermeisterabwahl umgeht und es nicht automatisch zur Amtsenthebung kommt.

Auch die Gefahr, dass die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Verwaltung gefährdet werden könnte, hat sich in Brandenburg nicht bestätigt. Im Gegenteil besteht für die Initiatoren das Risiko, dass der Antrag nicht erfolgreich ist und der Bürgermeister gestärkt aus der Abstimmung hervorgeht. Der Bürger ist schließlich in der Lage zu erkennen, ob es tatsächlich einen triftigen Grund gibt, dem Bürgermeister vorzeitig das Vertrauen zu entziehen. Das bedeutet, dass ein Bürgerbegehren wahrscheinlich nur dann eingeleitet wird, wenn deutliche Anzeichen einer schweren Verfehlung auch in der Bevölkerung wahrgenommen werden. Als ernsthafte Drohung in der Tagespolitik taugt das Mittel des Bürgerbegehrens deshalb nicht.

Empfehlung für NRW

Für Nordrhein-Westfalen wären, wegen der unterschiedlichsten Gemeinde- und Städtegrößen, Einleitungsquoren zwischen zehn und 25 Prozent empfehlenswert. In Duisburg, wo bei der letzten Kommunalwahl circa 370.000 Einwohner wahlberechtigt waren, hieße das, dass allein für das Einleitungsverfahren mindestens 37.000 Unterschriften notwendig wären. Da ein Bürgerbegehren sehr kosten- und zeitaufwendig ist, stellen schon zehn Prozent eine nicht zu unterschätzende Hürde dar. Für den Bürgerentscheid können entweder die bereits existierenden 25 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten beibehalten oder alternativ auch flexible Quoren je nach Gemeindegröße eingeführt werden. Wichtig ist, dass hier ein gewisses Maß an Repräsentation und damit Legitimation erhalten bleibt.

Seit mehreren Monaten schon diskutiert die nordrhein-westfälische Landesregierung über die Einleitung von Abwahlverfahren mittels Bürgerbegehren. Mit der Verabschiedung des Koalitionsvertrags am 7. Juli 2010 hatte sie sich dieses Thema auf die politische Agenda gesetzt – zwei Wochen vor der Loveparade-Katastrophe. Auch die Linkspartei ist grundsätzlich dafür. Strittig ist lediglich noch die Höhe der Quoren. Trotzdem ist nach derzeitigem Stand davon auszugehen, dass es noch in diesem Jahr zu einer Gesetzesänderung kommt, vielleicht sogar noch vor der Sommerpause. Wenn die Höhe der Quoren in Nordrhein-Westfalen in etwa denen aus Brandenburg entsprechen, kann man davon ausgehen, dass die Einleitung eines Abwahlverfahrens des Hauptverwaltungsbeamten mehr direkte Mitbestimmung für den Bürger bedeutet und nicht zu einem Instrument tagespolitischer Drohungen werden wird. Es ist deshalb anzunehmen, dass Duisburg in absehbarer Zeit einen neuen Oberbürgermeister bekommen wird. Bezogen auf Nordrhein-Westfalen wird der Positionswechsel aber eher die Ausnahme sein.

Frederic Hüttenhoff

studiert den Masterstudiengang Politikmanagement an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen. Zurzeit ist er als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen tätig. Weitere praktische Erfahrungen sammelte er im Landtag NRW und in den Bereichen der Unternehmenskommunikation sowie Public Affairs.