Partei 4.0

Partei 4.0 – Warum die Digitalisierung die Parteien nicht aus der Krise führen wird

Parteien sind der primäre Ort politischer Willensbildung, sie bilden die BürgerInnen politisch und bieten ihnen Raum für aktive Beteiligung und politische Teilhabe. Auf diese Weise stellen Parteien das wichtigste Bindeglied zwischen Staat und Volk dar – und tragen somit einen wichtigen Anteil zur Legitimation unseres demokratischen Systems bei.

Doch wird dieser Verfassungsauftrag in der deutschen „Parteiendemokratie“ noch ausreichend erfüllt? Alle im Bundestag vertretenen Parteien, mit Ausnahme der Grünen und der AfD, verlieren seit 1990 teils rasant an Mitgliedern, bei fast allen herrscht akuter Nachwuchsmangel. Parteibindungen lösen sich immer weiter auf und Parteiorganisationen werden (oft zurecht) als altmodisch, verkrustet und unattraktiv wahrgenommen.

Die deutschen Parteien befinden sich im Jahr 2018 in einer Vertrauens- und vor allem einer Legitimationskrise. Somit wird zwangsläufig auch ihre Fähigkeit als Vermittlerin und damit das gesamte repräsentativ-demokratische System in Mitleidenschaft gezogen.

Als wichtigstes Problem wird zunehmend die unzureichende Digitalisierung der Parteistrukturen ausgemacht: Da sich unsere Art der Kommunikation, der Zusammenarbeit und der gesellschaftlichen Teilhabe immer stärker digitalisieren werde, seien Parteiorganisationen ganz besonders betroffen. Wäre also eine digitalisierte Parteiorganisation der Schlüssel, um wieder mehr Menschen für Parteiarbeit zu begeistern? BefürworterInnen gehen davon aus, dass so bürgerliche Partizipation gestärkt und Vertrauen in die repräsentative Demokratie zurückgewonnen werden könnte. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Die Digitalisierung bietet den Parteien eine große Anzahl von Chancen, um moderner, attraktiver und bürgernäher zu sein. Unstrittig ist, dass digitale Angebote (etwa parteiinterne soziale Netzwerke) die zeitgemäßere Art und Weise darstellen, um Mitglieder zu informieren, sie gezielt anzusprechen und zu mobilisieren. Auch die innerparteiliche Debatte kann mit Hilfe digitaler Werkzeuge wiederbelebt werden. Zum einen werden insbesondere junge Menschen näher an ihrer Lebensrealität angesprochen. Gleichzeitig bieten nicht-lineare Beteiligungsmöglichkeiten im Netz neue Möglichkeiten zur Bildung von (Diskurs-)Koalitionen, zur Vernetzung und zur Teilhabe, unabhängig von Zeitbudget oder geografischer Entfernung. Neue Formen der innerparteilichen Willensbildung, wie etwa das „Antragsgrün“ der Grünen[1] oder die in der SPD geplanten Online-Themenforen[2], erweitern die Möglichkeiten noch zusätzlich.

Viele Neumitglieder geben im Angesicht von Mailing-Listen, bei denen AutorInnen mit dem längsten Text oder den meisten Ausrufezeichen gewinnen, zurecht schnell und entnervt auf. Der digitale Raum bietet durch die Möglichkeit zur Begrenzung der Zeichenzahl, verschiedene Kommentarebenen zur fokussierten Debatte oder andere Mittel einen Weg, um innerparteiliche Diskussionen zielgerichteter und weniger selbstreferenziell zu gestalten. Außerdem deuten Forschungsergebnisse der politischen Kommunikationsforschung darauf hin, dass es AußenseiterInnen und QuereinsteigerInnen im politischen Wettbewerb durch die Digitalisierung leichter fällt, Aufmerksamkeit und Popularität zu erlangen. Das aktuellste Beispiel stellt an dieser Stelle sicherlich die Flensburger Oberbürgermeisterin, Simone Lange, und ihre Kandidatur als SPD-Vorsitzende dar.

So positiv die genannten Aussichten erscheinen und so populär der innerparteiliche Digitalisierungsdiskurs zurzeit in fast allen deutschen Parteien sein mag, müssen gleichzeitig gewichtige Bedenken angeführt werden.

Zum einen darf, angesichts der meist recht einseitigen Altersstruktur deutscher Parteien, keine Exklusivität der innerparteilichen Beteiligung geschaffen werden. Außerdem besitzen Parteien als hochkomplexe Organisationen ein sehr differenziertes Set aus Regeln, Alltagspraktiken und institutionalisierten Abläufen. Dem Ansatz des historischen Institutionalismus folgend, wird sich diese, oft auch informelle Parteikultur stets langsamer verändern, als es die gesellschaftliche Umwelt tut. Damit innerparteiliche Digitalisierung auf Akzeptanz stößt, muss sie daher diesem Tempo angepasst werden und in jedem Fall umfassend kommuniziert werden, warum den Mitgliedern aus einer Neuerung Vorteile erwachsen.

Doch auch ganz grundsätzlich stellt die Digitalisierung von Parteiorganisationen kein Allheilmittel für die Krise der Parteien dar. Zunächst lässt sich dies an den bisherigen Ergebnissen von digitalen Experimenten in Parteien ablesen. Die Ergebnisse von Versuchen innerhalb der SPD, der Grünen oder in einzelnen Landesverbänden der FDP waren, wenn überhaupt, durchwachsen. Oftmals scheiterten die Vorhaben an fehlender Unterstützung oder Mängeln in der Umsetzung, grundsätzlich ließ sich bisher allerdings kein signifikanter Beteiligungsanstieg im Vergleich zu klassischen Formaten nachweisen.

Noch grundlegender hingegen ist die Frage, wie digitale Beteiligung und klassische Parteifunktionen zusammengebracht werden können. Digitale Formate erscheinen einerseits als passende Reaktion auf die Individualisierung und die Kommerzialisierung der Gesellschaft. Gerade ersterer Trend sollte als langfristige Erklärung für sinkende Mitglieder in Parteien – und anderen gesellschaftlichen Gruppen – nicht vernachlässigt werden. Und nun endlich bekommen Parteien die Chance, online ein „Erlebnis“ zu schaffen, um sich als attraktives „Produkt“ den „Usern“ zu präsentieren. Ganz nebenbei stärkt man auch noch die eigene Position gegenüber moderner wirkenden, oftmals temporär und thematisch beschränkten Formen des Engagements – etwa Bürgerinitiativen. Der Reiz, ebenfalls solche kurzfristigen Engagements in digitaler Form zu bieten, dürfte daher sicher bei vielen ParteistrategInnen groß sein. Eine zu starke Hinwendung zu solchen Formaten würde allerdings unser repräsentatives Demokratiemodell gefährden. Parteien benötigen eine ausreichend große aktive – und analoge – Mitgliedschaft. Sie benötigen neben MandatsträgerInnen und hauptamtlichen Strukturen vor allem auch dauerhaft aktive Ehrenamtliche. Sie sind es, die die Partei vor Ort organisieren. Sie sind in den Stadtteilen präsent und bekannt, dienen als AnsprechpartnerInnen und ermöglichen somit die direkteste Form der Vermittlung zwischen Politik und Bevölkerung. Sie sind es, die die BürgerInnen in Stadt- und Kreisräten vertreten und die kommunale Verwaltung überhaupt erst legitimieren. Sie sind es, die einen großen Teil der Arbeit schultern.

Parteien, die Beteiligung immer weiter auf ein kurzfristiges und unverbindliches „Erlebnis“ ausrichten und gegebenenfalls sogar die zentrale Bedeutung der Mitgliedschaft entwerten, werden ihrer Aufgabe innerhalb der Parteiendemokratie in Zukunft nicht mehr erfüllen können. Innerhalb der Parteiendemokratie muss es um langfristiges Engagement, nicht um kurzfristige User-Erlebnisse gehen. Parteien sind eben kein Produkt, das lediglich kurzfristig gut vermarktet und präsentiert werden muss. Sie sind elementarer Baustein unseres demokratischen Systems.

Digitale Beteiligungs- und Diskussionsformate sollten dementsprechend bisherige Parteistrukturen ergänzen, die persönliche und an eine Mitgliedschaft gebundene Mitarbeit aber nicht ersetzen. Digitale Angebote sollten eine neue und zusätzliche Möglichkeit der Partizipation darstellen und von Partieführungen als Anreiz und Werbung für ein dauerhaftes, analoges Engagement angesehen werden.

Ein Essay von Maximilian Wilshaus

Maximilian Wilshaus studierte Politik und Soziologie in Bonn und ist seit 2017 Masterstudent an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte er mehrere Jahre als Werkstudent im Landtag NRW sowie im Deutschen Bundestag. Zurzeit ist er wiss. Hilfskraft im Projekt “DIPART – Digitale Parteienforschung”.

 

 

[1] Mehr Informationen über das Antragsportal „Antragsgrün“ finden sich unter https://antragsgruen.de/.

[2] Mehr Informationen zu den geplanten SPD-Themenforen finden sich auf der Homepage der InitiatorInnen der Initiative SPD++ unter https://spdplusplus.de/themenforen/.