the games must go on! – sport zwischen krieg und frieden

Sportliche Ereignisse sind nicht selten Austragungsort für politische Dispute. Als gesellschaftliche Großereignisse und multikulturelle Highlights genießen sie ein erhebliches Maß an öffentlichem Interesse und emotionalem Zuspruch. Viele Akteure nutzen diese Plattform, um Aufmerksamkeit für politische Zwecke zu erhaschen oder um politisches Handeln zu legitimieren. Sportliche Ereignisse sind aber auch – mit gleicher Begründung – Austragungsort für politische Friedensbewegungen. Eine Gegenüberstellung

Krieg

5. September 1972. Es ist der elfte Olympia-Tag in München. Acht palästinensische Terroristen dringen um vier Uhr morgens in das israelische Mannschaftsquartier ein. Zwei israelische Sportler werden unmittelbar erschossen, neun weitere Athleten als Geiseln festgenommen. Die Forderung für ihr Überleben: die Freilassung von 200 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen. Die Situation artet aus. Die deutschen Einsatzkräfte sind vollkommen überfordert. Später wird ihnen vom israelischen Geheimdienst Mossad „ausgesprochener Dilettantismus“ vorgeworfen und auch Bundeskanzler Willy Brandt bezeichnet die Ereignisse als „erschütterndes Dokument deutscher Unfähigkeit“. Nach 24 Stunden Unterbrechung werden die Spiele fortgesetzt. Die Begründung des IOC-Präsidenten Avery Brundage lautet: „Wir wollen den Terroristen nicht auch noch erlauben, die Spiele zu ermorden. The Games must go on!“. Die Olympischen Sommerspiele 1972 wurden zum Nebenschauplatz des israelisch-palästinensischen Konflikts und der olympische Grundgedanke einer friedlichen kulturellen Begegnung durch verstärkte Sicherheitsvorkehrungen in den Folgejahren im Keim erstickt.

26. Juni 1969. Es ist das zweite Halbfinalspiel der Nord- und Zentralamerikagruppe in der Qualifikation für die Fußball-WM 1970 in Mexiko. Es spielt El Salvador gegen Honduras. Die Stimmung ist angespannt, Fans pfeifen sich gegenseitig aus. In der Verlängerung fällt das 3:2 für El Salvador. Honduras ist ausgeschieden. Im Austragungsland El Salvador finden dramatische und unkontrollierte Ausschreitungen mit Todesopfern beider Seiten statt. Das Fußballspiel ist jedoch nur der Tropfen auf den heißen Stein eines schon lange schwelenden Konflikts zwischen den beiden Staaten. Die Regierung von El Salvador nimmt die Ausschreitungen im Rahmen des Fußballspiels als Vorwand, um nach Honduras einzudringen. Die militärische Intervention wird damit begründet, dass die in Honduras lebenden salvadorianischen Landsleute vor gewaltsamen Übergriffen geschützt werden müssen. Damit wird das sportliche Ereignis Auslöser des Fußball-Krieges im Grenzgebiet von El Salvador und Honduras, auch als 100-Stunden Krieg bekannt, der ca. 3.000 Tote forderte und jahrelange Bemühungen um eine zentralamerikanische ökonomische Union erschütterte.

Diese beiden Ereignisse sind dramatische Negativbeispiele der Systemzusammenhänge von Sport und Politik. In beiden Fällen werden sportliche Ereignisse als Aus- tragungsort politischer Dispute missbraucht. Damit können die berühmten Worte George Orwells aus dem Jahre 1945 nicht mehr nur ausschließlich in Bezug auf sportliche Darbietungen, sondern vielmehr in Bezug auf die Kopplung der Systeme Sport und Politik verstanden werden: „Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence. In other words: it is war minus the shooting.“ Diese Worte zeichnen ein düsteres Bild; letztlich liegt aber ein Funke Wahrheit in ihnen.

Dementsprechend werden sportliche Ereignisse nicht selten mit nationalistischen Sentiments aufgeladen. So auch im Falle des Fußball-Krieges zwischen Honduras und El Salvador. Die WM-Qualifikationsspiele waren nicht die Ursache für die darauffolgenden kriegerischen Auseinandersetzungen; der Fußball trug aber dazu bei, dass die chauvinistischen Emotionen überkochten und die militärischen Interventionen durch den folglich stärkeren Zuspruch der jeweiligen Bevölkerung erhöhte Legitimation fanden.

In einem ähnlichen Maße wurden die olympischen Spiele 1972 für kriegerische Zwecke instrumentalisiert. Die Olympiade gilt als eines der bedeutendsten gesellschaftlichen sowie kulturellen Ereignisse und ist – entgegen ihres Selbstanspruchs – schon seit ihrem Ursprung in der Antike kaum von Politik zu trennen. Indem die Spiele eine weltweit öffentliche Plattform für propagandistische Aktionen bieten, werden sie dementsprechend nicht ausschließlich für sportliche Aktivitäten genutzt. Das zeigen unter anderem Ereignisse wie der terroristische Übergriff auf israelische Athleten. Aber auch die Olympischen Spiele 1936 in Nazi-Deutschland, die häufig als „Mutter“ der politischen Instrumentalisierung von Sport bezeichnet werden. Wo große Hoffnungen und Emotionen aber auch öffentliches Interesse im Spiel sind, ist eine politische Instrumentalisierung vorhersehbar. Die Frage ist, in welche Richtung diese gelenkt wird.

Frieden

24. Juni 1995. Johannesburg, Südafrika. Es ist das Finale der Rugby-Weltmeisterschaft. Es spielt Südafrika gegen Neuseeland. Die Spieler laufen auf und stellen sich für die Nationalhymne in Reih und Glied. Die Zuschauerränge sind gefüllt; unter südafrikanischen Fans sind 95% weiße Landsleute, die meisten gekleidet in dem grünen Trikot der südafrikanischen Nationalmannschaft, der Springboks. Für die schwarze Bevölkerung ist das Trikot und natürlich Rugby an sich ein schwerwiegendes Symbol der jahrelangen Unterdrückung der Apartheid. Das Land ist noch immer geprägt von großen Spannungen; rechtsradikaler Terrorismus gegen die neu etablierte Demokratie bleibt eine unberechenbare Gefahrengröße. Nelson Mandela, seit einem Jahr erster demokratisch gewählter farbiger Präsident des Landes, betritt das Spielfeld. Er trägt eben jenes grüne Trikot, welches von seinen weißen Skeptikern verehrt und von seinen farbigen Anhängern verachtet wird. Für einen Moment ist es absolut still im Stadion. Man kann die Anspannung fast greifen. Es scheint, als wären die Menschen in Unglauben über das Gesehene erstarrt. Auf einmal erklingen Rufe: „Nelson, Nelson!“. Erst vereinzelt, dann ein stetig anwachsender Chorgesang. Eineinhalb Stunden später siegen die Springboks. Mandela überreicht den Pokal und wieder ertönt der Gesang: „Nelson, Nelson!“ – lauter als zuvor, das Stadion singt. Den ganzen Abend feiern alle Südafrikaner zusammen den Sieg ihrer Rugby-Mannschaft. Mandela ist an diesem Abend gelungen, wovon er sein Leben lang geträumt hat: Eine friedliche Zusammenführung der beiden Bevölkerungsgruppen. Einige Jahre später wird er John Carlin von dem Sportmagazin Sports Illustrated berichten, dass dieser Moment im Ellis Park Stadium einer der angespanntesten seines Lebens gewesen ist: „Honestly, I have never been so tense […] I felt like fainting.“ Worte eines Mannes, der beinahe zum Tode verurteilt wurde und 27 Jahre im Gefängnis von Robben Island verbringen musste.

Dies ist nur ein Beispiel positiver Systemzusammenhänge von Politik und Sport. Auch hier wurde ein sportliches Ereignis politisch genutzt; jedoch stand dieses im Dienste des Friedens, der Identifikation mit der eigenen Vergangenheit und der Integration. Nelson Mandela sagte einst, Sport habe die Macht, die Welt zu ändern, zu inspirieren und Völker zu verbinden. Und er handelte danach: Denn obgleich Rugby zur Zeit der Weltmeisterschaft 1995 ein Symbol der Rassentrennung und des Apartheid-Regimes in Südafrika darstellte, erkannte er darin das friedenbringende, vereinende Potenzial. Im Sinne der Kompromisslösung, die in der Friedensforschung als bedeutendes Element der Friedenskonsolidierung angesehen wird, hat Mandela zunächst seine farbigen Regierungsangehörigen überzeugt, die Springboks als Nationalmannschaft anzuerkennen; gleichermaßen hat er die überwiegend aus weißen Spielern zusammengesetzte Mannschaft auf seine Seite gezogen und ihnen die neue Nationalhymne (ehemals ein Lied der schwarzen Protestbewegung) gelehrt. Das zeigt, dass Sport die Zusammengehörigkeit von Gemeinschaften fördert und eine Verbindung herstellen kann, wo die Politik mit den gewohnten Maßnahmen der Friedensförderung und -sicherung an ihre Grenzen stößt. Nicht nur auf großer politischer Bühne, sondern auch auf der Mikroebene kann Sport friedenspolitischen Zwecken dienen. In Konflikt und Postkonfliktsituationen können sportliche Aktivitäten ein friedliches, konstruktives Miteinander der Parteien fördern und Spannungen untereinander abbauen. Nicht zuletzt existieren aus diesem Grund bereits viele Initiativen und Projekte (wie Generations for Peace oder PeacePlayers International), die in Konflikt- und Kriegsgebieten vor allem die junge Generation durch sportliche Aktivitäten und Ereignisse zusammenbringen und über Gemeinsamkeiten und Frieden aufklären.

Orwell versus Mandela. Fußballkrieg versus Rugby-Märchen. Krieg versus Frieden. Es scheint, als wäre der Zusammenhang von Sport und Politik in das Paradigma von schwarz und weiß einzuordnen. Tatsache ist jedoch, dass solche Grenzen, wie die Beispiele hier offenbaren, nur selten so klar gezogen werden können. Es bleibt aber festzuhalten, dass sportliche Ereignisse und Aktivitäten durch politische Zweckverfolgung in ihren kulturellen Zielen gefördert oder beeinträchtigt werden; alleine und aus sich heraus führen sie allerdings nicht zu Krieg und Frieden. Der Leiter des Instituts für internationale und strategische Studien (IISS), Pascal Boniface, brachte es in einem Artikel für Le Monde diplomatique am Beispiel Fußball auf den Punkt: „Niemals wird ein Fußballspiel zwischen zwei Staaten, die eigentlich im Frieden leben, einen Konflikt auslösen, und niemals wird es Staaten Frieden bringen, die Streit suchen. Fußball kann aber ein Vorzeichen sein für den Wandel zum Besseren oder Schlechteren“. In diesem Sinne bleibt nur zu sagen: The games must go on!

Alice Berger

gehört dem Abschlussjahrgang 2010 des Master-Studiengangs Politikmanagement der NRW School of Governance an. Vor dem Master absolvierte sie Praktika beim Forum for Active Philanthropy GmbH, der Welthungerhilfe e.V. sowie beim German Institute of Global Area Studies. Ihr besonderes Interesse gilt der Europapolitik sowie der nachhaltigen Entwicklung.