Was wird von den Freitagsdemos bleiben?

Protestierende SchülerInnen und das Thema Klimaschutz waren ein dominantes Thema im Europawahlkampf. Im dritten Teil unserer Serie zur Europawahl geht Markus Wessels der Frage nach, welche Wirkung die Fridays for Future-Bewegung wirklich hat. 

Was mussten die Schülerinnen und Schüler nicht alles über sich ergehen lassen? Nachdem monatelang nicht über Forderungen der freitäglichen Klimaproteste diskutiert wurde, scheinen die Jugendlichen mittlerweile im Duett mit den erstarkten Grünen für die Umwälzung des deutschen Parteiensystems, das Aufwirbeln des Wählermarktes und die Spannungen zwischen SPD und Union verantwortlich zu sein. Aufgrund dieser allgegenwärtigen – negativ wie positiv konnotierten – Projektionen auf ihre Protestbewegung scheint es legitim, einen Schritt zurückzutreten und zu betrachten, welche Wirkung(en) Fridays for Future (FfF) tatsächlich zuschreibbar sind.

Dramaturgie von Protesten

Um die Gedanken zu strukturieren, soll die „Dramaturgie“ einer Protestbewegung als Folie dienen. Die meisten Proteste starten klein – hier in Form einer Einzelperson in Schweden – werden größer, breiten sich in verschiedene Länder aus, bilden Subgruppen und flachen anschließend wieder ab. Nach dem Abflauen ist davon auszugehen, dass die Bewegung in unterschiedlichste Richtungen und Weisen diffundiert. Jens Spahns Aufforderung, die Jugendlichen sollten sich doch in Parteien engagieren, ist vor diesem Hintergrund wohl eher eine Selbstverständlichkeit.

Zweifelsohne lässt sich feststellen, dass das Thema Klimawandel in den vergangenen Monaten ganz oben auf der Agenda stand. Fridays for Future hat – wenn es das Thema schon nicht selbst auf die Tagesordnung brachte – die Thematisierung von Klimapolitik für Monate hinweg gesichert. Das mediale und öffentliche Agenda-Setting war dominiert von Jugendlichen. Ohne diese Verschiebung des medialen Fokus erscheint es unwahrscheinlich, dass Klimapolitik nach Jahren der Dominanz von Migrationspolitik zum wahlentscheidenden Thema der Europawahlen wurde.

Relevanz des Themas nahm schon länger zu

In der Medienberichterstattung zur Wahl ließ sich eine bemerkenswerte Konstanz in der Deutung feststellen, die die Fridays for Future-Proteste und die Stimmenzuwächse der Grünen bei der Europawahl in einen quasi-zwangsläufigen Zusammenhang brachte. Bereits mit der Bayern-Wahl im Oktober 2018 rückten Umwelt- und Klimapolitik das erste Mal seit Jahren auf einen vorderen Platz der wahlentscheidenden Themen – vor Migrations- und Asylpolitik. Seit April 2019 nehmen die Fridays for Future-Gruppen zunehmend Organisationscharakter an, indem sich die lokalen Ortsgruppen unter einem gemeinsamen Forderungskatalog versammeln.

Ein historisches Gelegenheitsfenster?

Doch hätten wir es nicht mit Politik zu tun, wenn simple Erklärungen funktionieren könnten. Die Bayernwahl etwa fand deutlich vor dem Höhepunkt der deutschen FfF-Demonstrationen Mitte März statt. War es vielleicht doch der heiße Sommer, der die Initialzündung für Demonstrationen und Agenda-Setting gab? Wohl nicht nur. Für den schon seit Jahren unterschwellig virulenten Komplex Klimaschutz hatte sich im Laufe des Jahres 2018 ein bemerkenswertes Gelegenheitsfenster geöffnet, das sich aus „Dieselgate“ (das nur entfernt mit Klimaschutz zu tun hatte), „Rekordsommer“ und ambitionsarmer Klimapolitik (Verfehlen der Klimaziele) speiste. Die Proteste um den Erhalt des Hambacher Forstes taten dann ihr übriges.

Um zurück zu kommen zur Dramaturgie der Protestbewegungen: Hatte sich die Debatte um FfF am Jahresbeginn zugespitzt, einigten sich die Organisationsgruppen Mitte April auf einen gemeinsamen Forderungskatalog. Ein durchaus interessanter Schritt der Konkretisierung, der nicht etwa zur Spaltung, sondern zu einem neuerlichen Protesthöhepunkt am Freitag vor den Europawahlen führte. Ob nun der Zeitpunkt für FfF gekommen ist, an dem einzelne Ortsgruppen weiterarbeiten, die großen Schülermassen jedoch zu Hause bleiben, bleibt die spannende Frage der kommenden Monate.

Was wird von den Freitagsdemos bleiben?

In jedem Falle sollte man sich bewusst werden, dass die Faktoren, die zum Erfolg der Grünen bei den Europawahlen 2019 geführt haben, deutlich komplexer sind, als der Einfluss der Freitagsdemos – zumal sich nicht mal diese eindeutig auf eine Ursache zurückführen lassen. Vor diesem Hintergrund lässt sich wohl bisher lediglich die Agenda-setzende Wirkung der FfF-Protest mit großer Gewissheit behaupten, innerhalb dessen die Grünen in einem gewachsenen Gelegenheitsfenster ihr Wahlergebnis verbessern konnten. Dennoch sollte ebenfalls nicht vergessen werden, was W.I. Thomas uns mitgegeben hat: „Wenn die Menschen Situationen als wirklich definieren, sind sie in ihren Konsequenzen wirklich.“. Sprich: Nehmen Öffentlichkeit und Politik die Wirkungen der FfF als real und klar an, so sind sie es auch in ihrer Konsequenz.

Was hat der Wahlerfolg der Grünen nun mit den Grünen zu tun?

Zur Beantwortung bräuchte es mehr als den Verweis auf mediale Agenden, Demonstrationen und Inszenierungsstrategien. Welchen Einfluss beispielsweise hat die Tatsache, dass bei Europawahlen weniger über redistributive Politiken – also über Maßnahmen, die auf die Umverteilung von Gütern oder Leistungen abzielen – abgestimmt wird, als bei Bundestagswahlen? Hält sich das Wahlergebnis auch nach einer Debatte über Ökosteuern, die zwar prominent gefordert, aber über die im Endeffekt nicht im Zuge der Kommunal-, Bürgerschafts- und Europawahlen 2019 abgestimmt wurde? Auch parteiinterne Dynamiken und Entwicklungen müssten betrachtet werden: Trägt der aktuelle Kurs – inhaltlich, personell, strukturell – tatsächlich soweit, dass aus einer Umwelt-Klientelpartei (als analytischer, nicht abwertender Begriff verwendet!) eine 20-30+X%-Partei werden kann, die größere Teile der Bevölkerung über die Frage des Klimaschutzes hinaus zu vertreten mag? Genau an diesem Punkte sollte in den Parteivorständen Vorsicht geboten sein, die Wahlergebnisse fatalistisch zu verarbeiten. Die gestiegene Relevanz von Klima- und Umweltpolitik schreibt noch keine konkrete Instrumentierung selbiger vor. Der Ausgang dieser Debatte ist ähnlich weit offen, wie das Gelegenheitsfenster der Grünen.

Ein Beitrag von Markus Wessels

Markus Wessels wechselte nach seinem Bachelor in Politik- und Wirtschaftswissenschaften im Oktober 2018 an die NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte er unter anderem während Praktika im deutschen Bundestag und der europäischen Interessenvertretung sowie als freier Autor.