Wohin mit der CSU?

Bürgerlich-konservativer oder Richtung Mitte – wohin mit der CSU?

Die CSU erlebte am Sonntag einen rabenschwarzen Tag. Dennoch kommt sie mit einem blauen Auge davon. Der Passauer Politikwissenschaftler Dr. Michael Weigl erklärt im Interview das schlechte Abschneiden der CSU, den Erfolg der Grünen und was es mit den Freien Wählern auf sich hat.

Ist das Wahlergebnis der CSU mit 37 Prozent wirklich so schlecht?

Weigl: Man kann schon sagen, dass die CSU mit einem blauen Auge davongekommen ist. Schließlich gab es auch Umfragewerte, in denen die Partei auf 32 Prozent gefallen ist. 37,2 Prozent sind ein sehr schlechtes Ergebnis für die CSU und ihre Maßstäbe – es hätte aber noch schlechter ausgehen können.

Bayern geht es gut. Es gibt kaum Arbeitslosigkeit, die Kriminalität ist auf einem niedrigen Stand und der Staatsapparat funktioniert. Warum sind die Menschen mit der CSU nicht mehr zufrieden?

Weigl: Weil die CSU keine Emotionen mehr entfachen kann. Die große Emotion, mit Leidenschaft CSUler zu sein, ist weg. Diese großen Gefühle vereinnahmen im Moment die Grünen oder die AfD. Das ist die polarisierte Situation, die wir haben und die diesen Wahlkampf zu einem Stimmungswahlkampf gemacht hat. Dem konnte die CSU nichts entgegensetzen.

Natürlich gibt es aber noch weitere Argumente. Zum einen hat die Krise der Volksparteien und der gesellschaftliche Wandel die CSU voll erfasst. Den Spitzenkandidaten erst ein halbes Jahr vor der Wahl auszutauschen ist schlichtweg viel zu spät. Und nicht zuletzt gehört der Streit auf Bundesebene dazu. Hierbei spielt vor allem die Tonalität eine Rolle: Die Art und Weise der Zuspitzung hat die eigene Klientel abgeschreckt – denn die möchte seriöse, ernsthafte Politik und keine schrillen Töne.

Sie schreiben, dass die Union seit Jahren um die zukünftige inhaltliche Ausrichtung streitet: Bürgerlich-konservativer oder in Richtung Mitte? Was wäre aus ihrer Sicht für das Parteiensystem und die Demokratie besser?

Weigl: Ich glaube, es wäre problematisch, würde sich die CSU künftig ausschließlich in die Mitte positionieren und den rechten demokratischen Rand ignorieren. Denn was wir gerade am rechten Rand erleben, ist Ergebnis eines Repräsentationsdefizites. Das heißt: In dem Moment, in dem sich der rechte Rand öffnet, entsteht ein Defizit in der Repräsentation und das wird von anderen Parteien genutzt. Was wir aber eigentlich brauchen, ist eine starke Mitte der Gesellschaft. Wir bräuchten im Moment eine starke Union und eine starke SPD, die es schaffen, die Polarisierung zu überwinden. Im Moment haben wir sehr starke Ränder, die strategisch kaum Interesse daran haben können, diese Polarisierung ernsthaft zu überwinden, da sie von ihr profitieren. Das macht mir Sorgen.

Was wir brauchen, sind politische Angebote an diejenigen, die mit Rechtsaußen liebäugeln, aber noch nicht fest in diesem Weltbild verankert sind. Die CSU wurde immer wieder dafür kritisiert, dass sie diese Klientel dezidiert angesprochen hat. Ob das aber wirklich ein Fehler war, müsste aber meines Erachtens doch zumindest kritisch diskutiert werden. Mir scheint es, als wenn wir diese Strategie heute notwendiger hätten als jemals zuvor. Geben die etablierten Parteien diesen rechten demokratischen Rand auf, dürfen sie sich nicht wundern, wenn die AfD weiter an Zustimmung gewinnt.

In der Wissenschaft wird Existenz der AfD bisweilen auch als Beweis für die Vitalität des Parteiensystems diskutiert. Wo sehen Sie denn den Unterschied zwischen Vitalisierung und Polarisierung des Parteiensystems?

Weigl: Grundsätzlich zeigt das aktuelle Geschehen, dass unser System funktioniert. Denn in dem Moment, in dem ein Repräsentationsdefizit entsteht, gründet sich eine neue Partei und etabliert sich. Genauso sollte es sein. Das war damals bei den Grünen so und das ist jetzt so. In diesem Sinne ist die Vitalität des Parteiensystems auch Ausdruck einer Gesellschaft, die individualisierter ist und sich nicht mehr in klassische Milieus einteilen lässt. Insofern würde ich dieser These Recht geben. Der Parteienwettbewerb funktioniert allerdings nur, wenn man miteinander aushandelt. Wenn die Parteien nicht miteinander reden können, dann haben wir ein ernsthaftes demokratietheoretisches Problem. Und das sieht man so langsam auch in Deutschland. Die einen wollen nicht mit den anderen reden und andersrum. Und das hat nicht nur etwas mit den Parteien zu tun, sondern auch mit der Gesellschaft. Es scheint, als gäbe es völlig unterschiedliche Weltbilder, völlig unterschiedliche Identitäten. Die erzählen dir andere Geschichten zu Deutschland.

Themenwechsel: Wie stabil ist die grüne Wählerbindung?

Die Grünen hatten einen perfekten Wahlkampf. Es hat alles gepasst: Man hat seine eigene Zielgruppe durchmobilisiert, Rückenwind aus dem Bund gehabt und sogar der politische Gegner hat für sie gearbeitet. Demnach wird das grüne Ergebnis momentan etwas „überbewertet“. Sie haben ihr ganzes Potential in diesem Wahlkampf komplett ausschöpfen können, was im Normalfall nicht gelingt. Außerdem spricht der gesellschaftliche Wandel für sie. Sie sind diejenigen, die die „Deutungshoheit“ haben. Trotzdem ist ihre Stammwählerschaft auch heute noch relativ klein und – trotz Tendenz nach oben – weit von 17,5 Prozent entfernt. Langfristig kann es aber – vor allem wenn der Niedergang der SPD so weiter geht – noch weiter nach oben gehen. Es kann aber auch wieder einige Prozentpunkte runtergehen.

Können Sie uns in drei Sätzen grob erklären: Was hat es mit den Freien Wählern in Bayern auf sich?

Weigl: Die Freien Wähler sind eine noch junge Partei, dominiert von ihrem langjährigen Vorsitzenden Hubert Aiwanger, die sich aber auf eine lange Tradition stützen: Nämlich die der freien Wählergruppierungen auf kommunaler Ebene in Bayern. Selbst gehören die Freien Wähler zwar nicht in dieser Kategorie, aber sie kommen sozusagen aus dieser „Ecke“ und sind dementsprechend sehr gut vor Ort vernetzt. Auf dem Land sind die Freien Wähler zum Teil die einzige Partei, die der CSU überhaupt Konkurrenz machen könnte. Letztlich kann sie jedoch als „Fleisch aus dem Fleische der CSU“ bezeichnet werden – denn ein anderer Strang, aus welchem die Freien Wähler entstammen, sind viele unzufriedene CSU-Wähler und -protagonisten, die dann zu den Freien Wählern gewechselt sind. Letztlich besteht da programmatisch eine große Nähe.

Was die Freien Wähler allerdings auszeichnet (und das ist glaube ich auch Teil ihres Erfolges) ist, dass sie dezidiert Politik für das flache Land machen und nicht nur für die Städte, und das in einer unaufgeregten, wenig schrillen Art. Sie vertreten keine Ideologie, sondern sagen: „Wir machen pragmatische Politik, wir lösen Probleme“. Damit werden die Positionen zwar zuweilen recht kleinteilig. In Reden der Freien Wähler wird dann plötzlich das Problem „x“ aus dem Dorf „y“ aufgeworfen – aber damit ist man eben nah am Bürger!

Die Freien Wähler auf dem Parteienkontinuum – rechts von der CSU und links von der AfD?

Weigl: Nein, auf keinen Fall. Die Freien Wähler sind klassische Mitte beziehungsweise – wenn es wirklich auf dem Kontinuum verortet werden soll – rechts von der Mitte. Sie sind aber ganz klar relevant für die „liberale Mitte“ der CSU Wähler und definitiv nicht der erste Ansprechpartner für den rechten Flügel.

Auch wenn sich Teile der Freien Wähler gegen den Euro aussprechen?

Weigl: Das ist etwas anderes – es gibt zwar Teile der Freien Wähler, die sich gegen den Euro aussprechen; auch bei der Migrationspolitik ist man deutlich strikter eingestellt. Trotzdem sind sie keine Anti-Europa oder rechte Partei. Diese Kritik folgt eher wieder aus ihrem Pragmatismus. Wenn bei Bauausschreibungen aufgrund von EU-Verordnungen beispielsweise Materialien aus China anstatt aus dem Nachbardorf importiert werden müssen, dann fordern die Freien Wähler ganz klar Reformen. Sie finden bei den Freien Wählern natürlich – wie in jeder Partei – auch radikaleren Kräfte. Aber das ist nicht der eigentliche Kurs von Aiwanger.

Was müsste passieren, damit es doch noch zu Schwarz-Grün kommt?

Weigl: Es müsste eine unfassbare Sensation eintreten! Es müssten irgendwie die Koalitionsverhandlungen zwischen CSU und Freien Wählern scheitern. Ansonsten passiert das nicht. Schwarz-Grün war schon vor der Wahl sehr unwahrscheinlich, jetzt ist es praktisch ausgeschlossen.

Also noch nicht einmal Sondierungsgespräche?

Weigl: Doch, aber das wird letztlich symbolische Politik sein. Die werden geführt, weil sich beide Parteien bei späteren Wahlen gegenseitig brauchen könnten. Dann hört man sich an, was die anderen zu sagen haben, geht danach raus und sagt: „Es hat halt nicht funktioniert“.

Sehen sie Schwarz-Grün denn langfristig als eine Option?

Weigl: Ja, langfristig schon! Aber da muss sich noch sehr viel tun. Allerdings hätten wir es auch schon dieses Mal erlebt, wenn die Mehrheiten keine andere Koalition zugelassen hätten. Dann hätten CSU und Grüne das gepackt. Es wären schwierige Verhandlungen geworden, aber es hätte funktioniert. Das Problem daran ist: Die CSU würde es zerreißen. Sie müsste sich komplett neu aufstellen und würde massive innerparteiliche Probleme bekommen. Das kann also nicht erste Wahl der CSU sein und ist es eben auch nicht.

Dr. Michael Weigl ist Akademischer Rat/Lehrkraft für besondere Aufgaben am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Universität Passau. Die bayerische Landespolitik begleitet er intensiv seit Jahren. Für die von Karl-Rudolf Korte herausgegebene Schriftenreihe „Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland“ hat er den Band zur CSU verfasst.

Das Interview führten Laura Bieder und Tim Frehler.

Laura Bieder absolvierte ihren Abschluss in Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und ist seit 2017 Masterstudierende an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen konnte sie im nordrhein-westfälischen Landtag sowie im Berliner Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes sammeln.

 

Tim Frehler studierte im Bachelor Staatswissenschaften in Passau und Tartu und ist seit 2018 Masterstudent an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte er unter anderem im Journalismus, sowie in der Öffentlichkeitsarbeit eines Rundfunksenders.