politik und sport in der mediengesellschaft – eine bestandsaufnahme

Das Wechselverhältnis von Politik und Sport ist neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diese Herausforderungen ergeben sich, da die Wahrnehmung des Sports immer weniger auf dem Weg der direkten (Primär-)Erfahrung, sondern vielmehr medienvermittelt erfolgt. Dabei ist die Produktion des medienvermittelten Sports das Ergebnis von miteinander konkurrierenden oder sich verstärkenden Logiken, Interessenlagen und Systembezügen. Im Ergebnis lassen sich Differenzierungen innerhalb der Medien und ein zunehmender Einfluss von außermedialen Akteuren beobachten.

Ein Gastbeitrag von Dr. Jörg-Uwe Nieland

(Sport-)Politik, die den Anspruch hat, die Sportentwicklung zu fördern und zu regulieren – etwa im Bereich des Dopings oder bei Sportwetten – ist konfrontiert mit der Doppelnatur des Sports: seinen gesellschaftlichen und zivilisatorischen Funktionen einerseits und seine ökonomische Verwertbarkeit andererseits. Hier verschieben sich augenblicklich die Gewichte; die Kommerzialisierung des Sports gewinnt an Fahrt. Inzwischen werden gigantische Einnahmen durch Fernsehrechte generiert, dabei trägt die Kommerzialisierung des Sports und speziell des Fußballs globale Züge. Und weil Sport Garant ist für hohe Einschaltquoten und Zuschauerbindung hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Interessengemeinschaft „Sport – Wirtschaft – Medien“ herausgebildet.

Mediensport – ein Rückblick

Die Etablierung eines eigenen „Mediensportkomplexes“ und das Entstehen einer eigenen Medien(sport-)realität haben eine lange Tradition. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Allianz zwischen Sport und Medien geformt; besonders prominent sind die Gründung der Tour de France im Jahr 1903 durch die Sportzeitung L’Auto (aus der nach dem 2. Weltkrieg die L’Équipe hervorging) oder die Veranstaltung des Giro d‘Italia durch die Gazzetto dello Sport (seit 1909). Diese beiden Beispiele zeigen auch, dass sportliche Großereignisse zur Verbreitung und vor allem der Popularisierung von Medien dienten. So wurden zu Beginn der 1920er Jahre Sportveranstaltungen im Radio übertragen; die erste Sportrundfunksendung war eine Live-Berichterstattung des Schwergewichts-Boxkampfes von Jack Dempsey gegen George Carpenter 1921 in Pittsburg. Inzwischen ist der Fußball in Europa die dominierende Sportart der Hörfunkberichterstattung. Auch das Fernsehen nutzte den Sport als Katalysator auf dem Weg zum Massenmedium. Der Siegeszug des Fernsehens nach dem 2. Weltkrieg deutete sich schon 1948 mit der Live-Berichterstattung von den Olympischen Spielen in London an. In den letzten Jahren sind neue Strategien der Präsentation und der Vermarktung des Sports im Internet zu beobachten. Zusammenfassend kann für alle Medien festgehalten werden, dass der ökonomische Wettbewerb der zentrale Faktor und Motor geworden ist. Dabei profitieren sowohl der Sport von der Medienpräsenz – indem die Medien durch Übertragungsrechte Einnahmen generieren, zum Teil die Finanzierung von Sportlern sicherstellen sowie für Öffentlichkeit und Popularisierung sorgen – als auch die Medien von der Sportberichterstattung. Der Nutzen für die Medien liegt nicht nur in den meist niedrigen Produktionskosten, sondern gerade in den hohen Reichweiten (bzw. Auflagen), die sich mit dem Sport und sportlichen Großereignissen erzielen lassen, den hohen Imagewerten für die Journalisten und die Medien sowie einer hohen redaktionellen Anschlussfähigkeit des Sports. Dabei sind mehr Medien und mehr Angebote auf dem Markt verfügbar und es kommt zu einer Ausdifferenzierung der Geschäftsmodelle. Der Sport ist in der Mediengesellschaft angekommen.

Sport in der Mediengesellschaft

Zu fragen ist an dieser Stelle nach den Dimensionen der Mediengesellschaft. Festzustellen ist eine quantitative und qualitative Ausbreitung der Medien. Dies zeigt sich in der Herausbildung neuer Medienformen wie Zielgruppenzeitschriften, Spartenkanälen, Netzmedien, die sich neben den herkömmlichen Massenmedien etablieren. Unübersehbar ist desweiteren die Zunahme der Vermittlungsleistung und –geschwindigkeit von Information durch Medien – aktuell ist etwa an HDTV zu denken. Von großer Tragweite ist die immer stärkere und engmaschigere Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche durch die Medien; dieser Prozess wird von der Kommunikations- und Medienwissenschaft als Medialisierung bezeichnet. Schließlich erlangen die Medien hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Anerkennung. Ein zentraler Effekt ist die Ausweitung und Stärkung der Orientierungsfunktion der Medien: Medieninhalte bilden immer mehr Handlungsbereiche der Menschen ab.

Werden die beschriebenen Tendenzen auf das Verhältnis von Sport und Medien bezogen, dann kann mit den Düsseldorfer Kommunikationswissenschaftlern Gerhard Vowe und Maro Dohle von einer Medialisierungstreppe gesprochen werden. Diese Treppe hat acht Stufen. Auf der ersten Stufe sind es die medialisierten Instrumente, die zur Verbesserung der medialen Verwertbarkeit eingeführt wurden. Zu denken ist etwa an den „Telestar“, einen Fußball, der bei der WM 1970 zum Einsatz kam, damit die Fernsehzuschauer das Spiel besser verfolgen konnten. Im nächsten Schritt erlangen veränderte Rhythmen, also die Anpassung der Zeitstrukturen von Sportereignissen an die Medienlogik, Bedeutung. Die Spieltage der Bundesliga sind inzwischen über das Wochenende verteilt – die englische Premier League hat Spiele am Samstagmittag, damit diese auf dem asiatischen Markt zu attraktiven Sendezeiten ausgestrahlt werden können. Auch die anderen Sportarten passen ihre Rhythmen an. Unübersehbar ist die dritte Stufe der Medialisierung, die medialisierten Arenen, also die Anpassung der Örtlichkeiten für die mediale Berichterstattung. Moderne Arenen haben „fliegende Kameras“, mixed zones für Interviews und vieles mehr. Auf der nächsten Stufe kommt es zum medialisierten Erleben durch die zunehmende Dynamisierung und Emotionalisierung der Berichterstattung. An das medialisierte Erleben schließen sich die medialisierten Akteure an. Dies bedeutet, dass sich die Berichterstattung auf Einzelne konzentriert, auf Sport-Prominenz. Sportlerinnen und Sportler sind dabei nicht nur Vorbilder, sondern auch Werbeikonen. Angekommen sind wir bei der nächsten Stufe, den medialisierten Ressourcen, denn die Ökonomisierung und der Einzug neuer Finanzierungsmodelle hat den Sportlern, Vereinen, Verbänden und schließlich auch den Medien enorme Summen in die Kassen gespült. Die vorletzte Stufe bilden medialisierte Regeln, also etwa neue Zeitvorgaben beim Basketball oder neue Zählweisen beim Volleyball und Tischtennis, wodurch die Spiele schneller und damit für den Zuschauer (und die Medienschaffenden) kalkulierbarer wurden. Abschließend sind die medialisierten Varianten zu erwähnen, also neue Wettkämpfe, wie beispielsweise die so genannten Jagdrennen bei Biathlon oder Beachvolleyball, die mehr Spannung für den Zuschauer versprechen.

Die Medialisierung des Sports hat aber auch Grenzen. Zum einen die Beharrungskräfte in Verbänden und Vereinen sowie einer Gruppe von Fans, die den Sport bzw. eine Sportart in ihrem ursprünglichen Charakter belassen möchten, zum zweiten die Bindung der Medienberichterstattung an Kosten-Nutzen-Kalküle, denn der hohe finanzielle Einsatz, den Medienunternehmen auf dem Markt der Übertragungsrechte leisten, muss zumindest in Teilen refinanziert werden und zum dritten darf die Berichterstattung die Handlungslogik des Sport – nämlich die Unvorhersehbarkeit von Sieg und Niederlage im Wettkampf nicht unterlaufen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Prozess der Medialisierung des Sports ambivalent ist. Er bietet die Chance der Ausdifferenzierung, der Erhöhung der Vielfalt und auch der Beteiligung neuer Akteure sowie den Zugang zu neuen Ressourcen; birgt aber auch das Risiko der Entwurzelung. Vor diesem Hintergrund ist die Politik gefordert.

Sportpublizistik und Sportpolitik

Angesichts der Medialisierung des Sports ist von der Politikwissenschaft, der Kommunikationswissenschaft und auch der Sportwissenschaft zu bestimmen und zu reflektieren in welchem Maß der Medieneinfluss steigt und welche Sportarten wie betroffen sind. Die (Sport-)Politik muss diskutieren, ob und wie sie die Verbände und vor allem die Rechte der Spieler stärkt. Diese Frage wird umso dringender je mehr die Entertainisierung und die Skandalisierung des Sports in den Massenmedien stattfinden. Die eingangs erwähnten gesellschaftlichen Funktionen drohen im Zuge dieser Tendenzen an Gewicht zu verlieren. Insbesondere die Dopingberichterstattung führt nicht nur zu einer Desillusionierung des Publikums, sondern auch zur Distanzierung politischer und wirtschaftlicher Ressourcengeber. Wenn sich der Sport und mit ihm die Medien und das Publikum in der „Dopingfalle“ verfangen, dann steht letztlich die staatliche Förderung des Sports als bislang eine selbstverständliche Aufgabe der öffentlichen Hand im Rahmen der Daseinsvorsorge auf dem Spiel.

Literaturnachweis:

Dohle, Marco / Vowe, Gerhard (2006): Der Sport auf der „Mediatisierungstreppe“? Ein Modell zur Analyse medienbedingter Veränderungen des Sports. In: merz – Zeitschrift für Medienpädagogik, 50. Jg. Nr. 6/2006, S. 18-28.

Bette, Karl-Heinrich / Schimank, Uwe (2006): Die Dopingfalle. Soziologische Betrachtungen. Bielefeld. Schierl, Thomas (2007): Handbuch Medien Kommunikation und Sport. Schorndorf.

Mittag, Jürgen / Nieland, Jörg-Uwe (2007): Das Spiel mit dem Fußball. Essen.

Dr. Jörg-Uwe Nieland

ist wiss. Mitarbeiter an der Deutschen Sporthochschule Köln, Institut für Kommunikations- und Medienforschung sowie Projektmitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen am Institut für Politikwissenschaft und der „Forschungsgruppe Regieren“. Schwerpunkte in Lehre und Forschung: Politischer Kommunikation und Regierungstätigkeit, Extremismusforschung, Medienpolitik und Medienentwicklung, Sportkommunikation und Sportpolitik sowie Populärkultur.