Editorial

Es ist soweit, Deutschland steckt mitten im Superwahljahr. Schon wieder. Sieben Landtagswahlen finden 2011 in der Bundesrepublik statt. Das bedeutet zum einen Dauerwahlkampf das ganze Jahr über und zum anderen Kräftemessen zwischen, aber auch innerhalb der Parteien. Doch ist im Superwahljahr wirklich alles super?

Die bisherigen Landtagswahlen haben gezeigt, dass sich die Macht- und die Mehrheitsverhältnisse im Fünfparteiensystem verändert haben. Sondierungsgespräche entwickeln sich zur wochenlangen Zerreißprobe zwischen den ehemals großen und den teilweise nicht mehr ganz so kleinen Parteien. Das gewohnte Umfeld hat sich offenbar verändert, unser Parteiensystem hat sich weiter fragmentiert. Ist das der Wunsch des Bürgers nach einer gezielten Meinungsvertretung oder ist es eine Antwort auf seine Partei- und Politikverdrossenheit? Zudem dominieren immer häufiger charismatische Persönlichkeiten und Protestbewegungen das politische Tagesgeschäft. Deshalb fragen wir uns nun: Welche Gewichtung kommt Parteien heute überhaupt noch zu und welche Rolle spielen Wahlen? Inspiriert durch das Wahljahr 2011 beschäftigt sich die vierte Ausgabe des HAMMELSPRUNG „Die Qual der Wahl oder alles egal? – Parteien und Wahlen im Jahr 2011“ mit der Rolle der Parteien und ihrer wechselhaften Beziehung zu Wahlen.


Im Grußwort zu dieser Ausgabe zeigt Stefan Raue, stellvertretender Redaktionsleiter von ZDF heute, die jüngsten Entwicklungen und den damit verbundenen Wandel im deutschen Parteiensystem auf, der sich durch die letzten Landtagswahlen manifestiert hat (S. 4). Ausschlaggebend dafür war unter anderem der Einzug der Partei Die Linke in die meisten westdeutschen Landtage (S. 46). Diese Veränderung vom Vierzum Fünfparteiensystem (S. 74) hat nicht nur nachhaltige Effekte auf Regierungsbildungsprozesse (S. 72) und -praktiken, sondern auch auf die Parteien an sich. Neue Akteure sind nun im Spiel und bereits abgeschriebene auf der Überholspur, während die alten Spitzenreiter scheinbar orientierungslos bleiben. Der Konkurrenzdruck, die politische Mitte zu besetzen und möglichst viele Wählerstimmen auf sich zu vereinen, ist groß.

Das Verhältnis von Parteien und Wahlen, eine Zwangsheirat seit eh und je. Denn wie das Grundgesetz bereits festschreibt, müssen Parteien, um bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken zu können, gewisse „Teilnahmebedingungen“ (S. 56) erfüllen. Doch auch andere externe Ansprüche bringen eine Partei dazu sich zu bewegen und interne Neuerungen voranzubringen, um wählbar zu bleiben. In den Mittelpunkt geraten hier vor allem die einstigen Volksparteien (S. 36). Peer Steinbrück verrät uns im Interview wie diese auf die abschwächende Zustimmung reagieren sollten (S. 52). Auch über die zunehmende Bedeutung von charismatischen Führungspersonen und bürgerlichen Bewegungen haben wir mit ihm gesprochen. Dabei kommt die Frage auf, was in Zukunft mehr Bedeutung haben wird: Die Partei als Institution oder einzelne charismatische Persönlichkeiten? Diese Fragestellungbeleuchtet der HAMMELSPRUNG von verschiedenen Standpunkten (S. 60). Die Veränderung des deutschen Parteiensystems zwingt insbesondere etablierte Partteien – auch intern – zum Umdenken. So versucht sich beispielsweise die SPD in einer strategischen Neuausrichtung (S. 28). Bärbel Höhn verdeutlicht anhand der Frauenquote, dass Neuerungen konsequent umgesetzt werden müssen(S. 27). Gegenüber etablierten Parteien bietet die fortgeschrittene Fragmentierung des Parteiensystems Newcomern eine Chance sich zu etablieren. Meist geschieht dies auf lokaler Ebene, wie das Beispiel der Jugendpartei PETO und deren jüngsten Bürgermeister Nordrhein- Westfalens, Daniel Zimmermann, zeigt (S. 40). Der HAMMELSPRUNG sprach in diesem Zusammenhang auch mit Christopher Lauer, dem Geschäftsführer der Piratenpartei über seine Erfahrungen mit der Newcomer-Partei (S. 32).

Vor der Wahl kommt der Kampf um die Wählerstimmen, das war schon immer so. Was neu ist, sind die modernen Kommunikationstechniken, die hier zum Einsatz kommen (S. 16). Der Bürger soll überall und immer informiert sein, um am Ende eine Entscheidung treffen zu können. Trotzdem gehen hierzulande immer weniger Bürger an die Wahlurne. Die Annahme, dass auch das Nicht- Wählen für manch Einen eine bewusste Wahlentscheidung darstellt, scheint normativ schwer nachvollziehbar. Hier hilft sicherlich nur der Blick durch die Brille eines Nichtwählers, den wir – gespickt mit teils begründeten, teils unbegründeten Vorwürfen – überspitzt darstellen (S. 71).

Um jedoch der Wahlverdrossenheit zu begegnen werden laufend Neuerungen im Wahlsystem (S. 10) diskutiert, diese stellen sich aber häufig als eine heikle Angelegenheit heraus. Insbesondere die modern anmutende Wahlmöglichkeit über das Internet (S. 6) gerät hier oft in den Fokus. Mangelnde Transparenz könnte Betrügern Tür und Tor öffnen, auch wenn vorsätzliche Manipulationen des Wahlvorgangs in Deutschland im internationalen Vergleich gering ausfallen (S. 19). Insbesondere auf Landesebene wird auch die Ausweitung plebiszitärer Elemente als Ergänzung zu Wahlen thematisiert (S. 13).

Feder von Studierenden und wird durch Gastbeiträge von Lehrenden und Praktikern bereichert. Für diese Ausgabe konnten wir einen Gastbeitrag von Univ.- Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte gewinnen, der neue Herausforderungen für die repräsentative Demokratie – insbesondere durch den Faktor „Zeit“ – thematisiert (S. 48). Des Weiteren erklärt Dr. Melanie Diermann in ihrem Beitrag das Dilemma der Wahlentscheidung des Bürgers aus spieltheoretischer Sicht (S. 22). Ebenso freuen wir uns über den Gastbeitrag von Alexander Stock (S. 68), der sich intensiv mit den Jugendorganisationen der Parteien im Zusammenhang mit Wahlen beschäftigt hat.

Der HAMMELSPRUNG lebt von seinem interdisziplinären Ansatz. In offenen Diskussionen quer durch Jahrgangsgrenzen und Hochschulhierarchien wird dieses Magazin- Projekt jedes Mal aufs Neue belebt. Die Mischung aus wissenschaftlich orientierten Beiträgen und journalistischen Formaten verspricht Abwechslung und eine diversifizierte Auseinandersetzung mit der Thematik.

Benjamin Brinkmann vom Fachbereich Design der Fachhochschule Düsseldorf ist erneut für die grafische Gestaltung des HAMMELSPRUNG verantwortlich und hat somit auch die vierte Ausgabe in Folge auf eine gestalterisch exzellente Weise vollendet. Thomas Böcker, Designstudent an der Fachhochschule Düsseldorf, bringt mit seinen fotografischen Beiträgen seine Ansichten zu den Themen in dieser Ausgabe zum Ausdruck. Auch das hat diese Ausgabe zusätzlich bereichert. Danke! Zudem bedanken wir uns bei unseren Interviewpartnern, die uns – auch bei kniffligen Fragen – Rede und Antwort gestanden haben sowie bei unseren Gastautoren, die mit ihren Beiträgen dem Magazin einmal mehr zusätzliche Substanz geben. Großer Dank gilt auch Stefan Raue für sein Grußwort. Nicht zuletzt gilt unser ganz besonderer Dank unseren Förderern, der NRW School of Governance und der WAZ Mediengruppe. Wir bedanken uns bei Ihnen für das Vertrauen und hoffen, dass wir den Austausch weiter fortführen können. Wir freuen uns auch weiterhin über positives sowie konstruktiv-kritisches Feedback, wie gewohnt an hammelsprung@nrwschool.de und auf www.hammelsprung-magazin.de, sowie unter www.facebook.com/hammelsprung und www.twitter.com/hammelsprungmag. Wir wünschen allen eine interessante Lektüre.

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