die ethik des schuldenmachens, oder: wer schon in einem loch sitzt, sollte aufhören zu graben

Die Politik ist voll auf beschäftigt, die Staatsschuldenkrise, die zu einer Eurokrise mutiert, in den Griff zu bekommen und die Märkte zu beruhigen. Für Grundsatzfragen ist kaum noch Platz. Nehmen wir uns deshalb die Zeit für eine ethische Betrachtung.
Staatsverschuldung ist in aller Munde. Täglich sind die Zeitungen voll von Hiobsbotschaften. Dabei wird zu aller erst an den Euroraum gedacht. Diese Wahrnehmung verzerrt allerdings das Bild, denn Verschuldung ist ein globales Problem. Sowohl die USA, die formal vor der Zahlungsunfähigkeit stand, als auch China – lässt man Zahlentricksereien beiseite – nähern sich der wachstumshemmenden Schwelle von einer 90-prozentigen Schuldenquote. Auch Deutschland hat lange Zeit über seine Verhältnisse gelebt. Dazu fand Bundespräsident Christian Wulf mahnende Worte, indem er Thomas Jefferson zitierte. „Wir haben die Wahl zwischen Sparsamkeit und Freiheit oder Überfluss und Knechtschaft“. Der Handlungsbedarf wurde erkannt, die ersten Schritte sind gemacht. Die Zeichen stehen auf Konsolidierung – Stichwort: Schuldenbremse. Denn es geht um nichts Geringeres als die Gestaltung der Zukunft. Das muss politischer Anspruch sein, da ansonsten jede Legitimation verloren geht. Es gibt keine Entschuldigung, sehenden Auges in den Abgrund zu marschieren.

Man muss die Nebenwirkungen kennen, bevor man die Medizin nimmt

Die Konsequenz ausufernder Staatsverschuldung ist für die Politik so simpel wie beunruhigend. Ein hoher Schuldendienst raubt der Politik den Gestaltungsspielraum. Schon heute ist dieser in Deutschland mit rund 40 Milliarden der zweitgrößte Haushaltsposten, bei momentan niedrigen Zinsen. Noch. Die Sprengkraft ist enorm. Nicht nur ergeben sich so große haushaltspolitische Belastungen – man möchte fast von einer doppelten Versündigung an der Zukunft sprechen – auch sinkt die Investitionskraft. Und das bei negativen staatlichen Nettoinvestitionen, schon seit Jahren. Wie geht man nun mit Staatsverschuldung um? Es besteht die Gefahr, dass Verschuldung die Geldpolitik verführt, Inflation zuzulassen, um Schuldenberge abzuschmelzen. Dabei wird aber nur das kleinere gegen das größere Übel ausgetauscht – Misstrauen bleibt zurück. Psychologische Effekte sind nicht nur elementare Bestandteile des Kapitalmarkts, sondern stimulieren auch die Erwartungen im Hinblick auf Investitionen und Konsum. Besser ist es demnach, Staatsverschuldung durch Einsparungen zurückzuführen und sich nur noch begrenzt und effizient zu verschulden. Immer noch muss Geld an der richtigen Stelle investiert werden, zum Beispiel in die Bildung und die Infrastruktur. Die Gesellschaft muss gestaltbar bleiben. Wettbewerbsfähigkeit bleibt das A und O, um Wachstum, Einnahmen und Wohlstand zu schaffen. Unter dieser Oberfläche schlummert die Frage, was für einen Staat wir wollen. Stark, der Leistungen umverteilt oder möglichst minimal, der kaum eingreift. Bei der Antwort prallen politische Weltbilder aufeinander.

Das, was alle zu wissen glauben

Staatsschulden drohen immer einer Partei auf die Füße zu fallen. Die Opposition geißelt die Regierung und umgekehrt. Es sind immer die anderen. Die Frage „wer hat Schuld an den Schulden“ wurde oft gestellt, mit ihr wurden Wahlkämpfe geführt, Stimmung gemacht. Alle glauben stets die Antwort zu kennen. Alles links von der Mitte kann nicht mit Geld umgehen, dass könnten nur bürgerliche Parteien – heißt es. Doch die Entwicklungen zwingen uns, alle Polemik über Bord zu werfen. Die Herausforderung ist zu groß, um noch mit Stereotypen operieren zu können. Was´also tun? Befragen wir doch die Wissenschaft! Die politikwissenschaftliche Empirie hilft, Licht ins Dunkel zu bringen. Auf den ersten Blick mag es erstaunen, aber sozialdemokratisch geführte Regierungen verschulden sich nicht stärker als bürgerliche. Zwar geben linke Regierungen mehr Geld aus, indem sie die Umverteilung in der Gesellschaft intensivieren – ihr Kernklientel profitiert am meisten davon – allerdings erhöhen sie im Gegenzug auch die Einnahmen durch steigende Spitzensteuersätze. Jedoch fehlen auf Landesebene umfassende Steuerkompetenzen, sodass hier der pauschalisierte Verschuldungsvorwurf zutrifft. Bürgerliche Parteien sind hingegen in einem Zielkonflikt gefangen. Sowohl Haushaltskonsolidierung als auch Steuersenkungen stehen auf ihrer Agenda. Beides gleichzeitig zu realisieren ist nicht möglich. Vielmehr lassen die Brüder Grimm grüßen, mit dem Märchen der selbstfinanzierten Steuersenkung. So stirbt die Hoffnung zuletzt, dass Steuergeschenke auf dem momentanen Konsolidierungspfad der Bundesregierung in weite Ferne rücken.

Ethik und Staatsverschuldung – passt das überhaupt zusammen?

Pathetisch, aber treffend, formulierte Barack Obama die Problematik: „Wenn wir nicht handeln, wird die Schuldenlast auf die Schultern unserer Kinder fallen.“ Intergenerationelle Gerechtigkeit ist der Maßstab, den die Politik sich selbst setzen sollten. Daran muss sich der Anspruch von nachhaltiger Haushaltspolitik orientieren. An einer Politik des Maßes – nicht der Anmaßung. Nachhaltigkeit entspricht dabei unserem Zeitgeist. Dieser Gedanke ist lange gereift, von den „Grenzen des Wachstums“, über die Brundtland-Kommission, den Erdgipfel 1992 in Rio bis hinein in unsere Gesellschaft. Es geht nicht um weniger, als dass die nächste Generation die gleichen Möglichkeiten und Freiheiten hat wie die vorherige. Es mag makaber klingen, aber Zyniker könnten sich demnach über diese Krise freuen. Denn die Stimme der Zukunft wurde bislang im politischen Tagesgeschäft zu schwach vernommen. Nicht zuletzt ist dies der politischen Logik geschuldet – der stetigen Suche nach Mehrheiten, die sich leider manchmal an Wut- , natürlich aber an Wahlbürgern orientiert. Wie soll langfristig konsolidiert werden, wenn Politik durch kurze Wahlzyklen bestimmt wird? Haushaltspolitik ist dabei der Spiegel gesellschaftlicher Umverteilung. Gewinner und Verlierer sind klar zu erkennen – Kürzungen werden als ungerecht empfunden und als Zumutung stilisiert. Wenn die Gesellschaft nicht erkennt, dass Weniger manchmal mehr als Mehr sein kann, dann bleibt entweder die Flucht in Verschuldung oder die Verletzung der Responsivität durch die Politik. Nicht nur der Repräsentant, sondern auch jeder Wähler trägt somit Verantwortung. Konsolidierung darf nicht zu einem politischen Kampfbegriff degenerieren, vielmehr sollte dies als überparteiliche Aufgabe begriffen werden. Alte Volksweisheiten sollte man ja nicht überstrapazieren, aber was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Es muss Schluss sein damit, Lösungen für Probleme in die Zukunft zu verlagern. Die Politik muss ein Zeichen setzen. Jetzt!