Bildung als Menschenrecht oder Bildung marktgerecht?

Als Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, in diesem Sommer im Gespräch mit dem „Spektrum der Wissenschaft“ ihre bisherige Amtszeit resümierte, sorgte sie in der Hochschullandschaft für Irritationen. Nicht nur, erhielten die Hoffnungen von Hochschulleitungen und Studierendenvertretungen auf lang ersehnte und dringend benötigte Zuwächse und Verstetigungen bei der Hochschulfinanzierung einen deutlichen Dämpfer, viel mehr erfuhren auch jene Stimmen Bestätigung, die bereits bei der Ernennung Karliczeks skeptisch reagierten. Als die Namen der Mitglieder des Kabinetts Merkel IV erstmals kursierten, erzeugte besonders der Vorschlag der bis dahin als Wirtschaftspolitikerin agierenden Karliczek für erstaunte Reaktionen. Mit ihren Einlassungen gegenüber dem „Spektrum der Wissenschaft“ offenbarte die Bildungsministerin ein Verständnis von Bildung, das nicht überall auf Zustimmung stieß. Ihre verwertungslogische Vorstellung von Wissenschaft als der Wirtschaft zuliefernde Instanz reiht sich nahtlos in eines der Kernprinzipien des Bologna-Prozesses ein. Employability ist eines der Ziele, auf die Hochschulbildung nach Bologna ausgerichtet sein soll. Hinter dem Begriff Employability verbirgt sich die Zielsetzung, dass Studierende mit ihrem Abschluss möglichst unverzüglich und arbeitsmarkttauglich ein Employment, also eine Anstellung finden können sollen. Nach der Hochschulreife sollen Studierende also mit einem Hochschulabschluss die Arbeitsmarktreife erwerben. Dabei wird vergessen, dass ein Hochschulstudium weder eine Berufsausbildung ist, noch eine solche sein kann, geschweige denn eine solche sein soll. Diese Unterschiedlichkeit von Hochschulbildung zu beruflicher Ausbildung wird durch die Integration des Leitgedankens von Arbeitsmarkttauglichkeit in Leitbilder von Hochschulbildung und die Konzeption von Studiengängen massiv untergraben.

Auch Unternehmen, die eine defizitäre Bewerbungslage für ihr Ausbildungsangebot beklagen und eine Vielzahl von Stellen unbesetzt lassen, nehmen diese Diskrepanz wahr. Allerdings ziehen Arbeitgeber*innenverbände und Zusammenschlüsse wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag daraus andere Schlüsse. Sie treten nicht an der Seite von Gewerkschaftsjugenden und Auszubildendenvertretungen für verbesserte Bedingungen in der Berufsausbildung ein, indem sie beispielsweise dem studentischen Vorbild eines solidarisch finanzierten Tickets für den öffentlichen Nahverkehr folgend auch ein Auszubildendenticket einführen. Stattdessen stoßen sie in das gen Bologna klingende, arbeitsmarktförmige Horn, aus dem der Wunsch nach mehr Praxisorientierung im Studium erklingt.

Bei Karliczek heißt das Ganze dann etwas vager „schnelleres Generieren von praktischen Ergebnissen“. Praxis wird dabei als Gegensatz zu Theorie entwickelt und das Ziel wissenschaftlichen Handelns wird zu Ergebnissen anstelle von Erkenntnisgewinn. Die Wissenschaft beabsichtigt Karliczek gezielter mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragestellungen zu konfrontieren. Dass Hochschulen auch als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden und zu gesellschaftlich relevanten Problemstellungen forschen ist unstrittig. Eine weitere Forcierung wirtschaftlicher Fragestellungen gestaltet sich allerdings weit problematischer. Forschungsaufträge von wirtschaftlichen Unternehmen und wirtschaftliche Einflussnahme auf Hochschulen stellen bereits im aktuellen Wissenschaftssystem keine Ausnahme dar. Finanzielle Mittel, die dadurch generiert werden, haben auch durch die eingangs erwähnte Unterfinanzierung von Hochschulen an Bedeutung gewonnen. Wird das Ministerium für Bildung und Forschung angesichts dieses Verständnisses zum Ministerium für Ausbildung und Auftragsforschung? Die Frage, welches Verständnis Bildung und Wissenschaft zu Grunde liegt, sollte tatsächlich geklärt werden. Der Befund, dass sowohl in der Binnenlogik wissenschaftlicher Institutionen als auch in der Betrachtung und Einwirkung von außen verwertungslogische und nutzenorientierte Anforderungen an Hochschulen zunehmen, ist jedoch nicht neu und nicht ursächlich bei Karliczek zu suchen. So lange der Name des Ministeriums ihr allerdings die Beschäftigung mit dem Themenfeld Bildung abverlangt, so lange sollte auch die Erwartung an die Ministerin als Leiterin dieses Ressorts sein, eine klare Unterscheidung zwischen Ausbildung und Hochschulbildung vorzunehmen. Wenn die Forderung, Bildung als Menschenrecht zu verstehen, nicht ihrer Wirkmacht beraubt werden soll, dann darf aus dem Recht auf Bildung keine Pflicht zu marktkonformer Ausbildung werden. Bildung beinhaltet eine starke individuelle Komponente und sollte zu selbstständigem und kritischem Denken und Handeln befähigen. Um diesem Ziel gerecht zu werden, braucht Bildung Zeit und Raum. Wenn also Schnelligkeit als Anforderung definiert, die Zeit für Bildung reduziert wird und der Fokus auf praktischen Ergebnissen liegend den freien Handlungsspielraum einschränkt, sind wesentliche Rahmenbedingungen von Bildung beeinträchtigt. Mit der wirkmächtigen Normierung der sogenannten Regelstudienzeit als restriktives Instrument wird die freie Gestaltung von Zeit zur Bildung deutlich reduziert. Für Studierende, die BAföG erhalten, werden diese zeitlichen Einschnitte noch besonders dadurch verstärkt, dass sie aus finanziellen Zwängen heraus dem Zeitdruck nachgeben müssen. Es existieren also durchaus schon Instrumente, welche die von Karliczek geforderte Schnelligkeit forcieren und dazu beitragen, Hochschulen von einer Bildungsinstitution zu einer reinen Durchlaufstation auf dem Weg in den Arbeitsmarkt werden zu lassen. Diese Entwicklungen sind nicht unumkehrbar. Es ist keine Zwangsläufigkeit, dass Studiengänge „verschulter“ und wirtschaftsnäher werden. Dabei sollten Hochschulen doch eigentlich Bildungsinstitutionen sein und nicht als Produktionsstätten für Subjekte dienen, die dem Arbeitsmarkt zugeführt werden. Bildung und Forschung bräuchten künftig eine verlässliche Ausfinanzierung von Hochschulen, versehen mit planbaren jährlichen Aufwüchsen. Darüber hinaus sollte es an Hochschulen wieder um Bildung von Menschen statt um Ausbildung für Märkte gehen.

Ein Kommentar von Marcus Lamprecht

Marcus Lamprecht studierte Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und ist seit 2017 Masterstudent an der NRW School of Governance. Dort war er von 2013 bis August 2018 im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) aktiv. Seit September 2018 ist er im Vorstand des studentischen Bundesverbandes fzs (freier zusammenschluss von student*innenschaften).