Die Macht der Worte

„Asyltourismus“, „Umvolkung“, „Flüchtlingslawine“. Was in sozialen Netzwerken schon seit längerer Zeit gang und gäbe ist, hat nun auch die Berliner Politik erreicht: Die Verrohung der Sprache. Ein gefährlicher Trend, denn Worte haben die Macht zu spalten und leisten radikalen Kräften Vorschub. Ein Appell für verbale Abrüstung und einen reflektierten Sprachgebrauch.

Im Internet ist die Verrohung der Sprache längst nichts Neues mehr. Beleidigungen, Hetze und Diffamierungen sind hier an der Tagesordnung. Im Schutz der Anonymität lassen viele UserInnen ihrem Hass freien Lauf. Da heißt es dann unter Nachrichtenbeiträgen „Asylschmarotzer“ sollten abgeschoben werden, Merkel müsse man öffentlich steinigen oder die „linken Systemmedien“ würden die Deutschen mit Fake News zumüllen.

Spätestens seit der letzten Bundestagswahl hat diese Sprache aber auch Einzug in den Deutschen Bundestag gehalten. Die Alternative für Deutschland arbeitet bewusst mit sprachlicher Provokation – die kalkulierte Grenzüberschreitung ist ihr Kerngeschäft. Wenn Björn Höcke das Holocaust Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet oder Alice Weidel männliche Flüchtlinge im Bundestag „alimentierte Messermänner“ nennt, finden sie sich am nächsten Tag auf den Titelseiten der Zeitungen wieder. Die Grenze des Sagbaren wird bewusst Stück für Stück verschoben, um zu provozieren und bestimmte Äußerungen hoffähig zu machen. Bei der AfD ist das nichts Neues mehr. Gezielte Tabubrüche und sprachliche Provokationen sind politische Stilmittel, die mit Methode angewendet werden.

Doch die sprachliche Eskalation färbt offenbar auch auf andere Parteien ab. Es scheint, als würden sich einige PolitikerInnen auf einen Wettbewerb der verbalen Aufrüstung einlassen, bei dem der gewinnt, der es schafft, den politischen Konkurrenten sprachlich zu übertrumpfen. Im Juni 2018 twitterte etwa der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, man müsse den „Asyltourismus“ beenden. Was diese Aussage gefährlich macht, ist das Bild, das sie transportiert. Tourismus verbinden wir mit Sommer, Sonne, Strand und Meer. Die lebensgefährliche Flucht nach Europa wird durch Söders Aussage so schnell mal zur Urlaubsreise erklärt und damit verharmlost. Framing nennt man diese Technik, bei der PolitikerInnen einen Deutungsrahmen setzen, um beim Zuhörenden über eine bestimmte Wortwahl gezielt Assoziationen und Gefühle hervorzurufen. Das geschieht sehr oft metaphorisch, indem Alltagsbegriffe mit der Politik verknüpft werden. Wenn beispielsweise von einer Flüchtlingswelle oder -lawine gesprochen wird, erzeugt das den Eindruck von Unkontrollierbarkeit. Jeder kennt Bilder von Lawinen oder Tsunamis aus dem Fernsehen. Übertragen auf das Thema Flüchtlinge entsteht so schnell das Bild einer Menschenmasse, die das Land überrollt und vor der man sich schützen sollte. Gleiches gilt für den von rechtspopulistischen Kreisen gerne gebrauchten Kampfbegriff „links-grün-versifft.“ Hier wird eine bestimmte Politik mit etwas „Versifftem“ gleichgesetzt, was Gedanken an Schmutz, Krankheiten und Ekel hervorruft und die ureigenen Instinkte des Menschen anspricht. Dieser Frame schafft es also auf einen Schlag zwei politische Lager mit einem Adjektiv zu belegen und damit zu diskreditieren.

Einige Parteien setzen diese Technik gezielt für ihre Zwecke ein. Demokratische Parteien der Mitte sollten sich allerdings bewusst gegen eine verbale Eskalation positionieren. Es darf kein Überbietungswettbewerb entstehen. Auf verbale Entgleisungen sollte mit guten Argumenten und Fakten reagiert werden – nicht mit derselben Rhetorik. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens hat die Berliner Politik eine Vorbildfunktion. Wer kann von KommunalpolitikerInnen, BürgerInnen auf der Straße oder UserInnen im Netz erwarten, respektvoll um das bessere Argument zu ringen, wenn BerufspolitikerInnen in der Hauptstadt dies nicht tun und stattdessen auf rhetorische Provokation setzen? Zweitens ist die Radikalisierung der Sprache ein erster Schritt hin zur Radikalisierung des Handelns. Eine systematische Verschiebung der sprachlichen Grenzen kann diejenigen bestärken, denen Worte nicht genügen. „Wir wissen aus der Geschichte, dass der Gewalt der Worte irgendwann die Gewalt der Taten folgt“, hat der ehemalige österreichische Bundeskanzler Christian Kern einmal gesagt.

Politik ist Sprache. Je erbitterter die politische Auseinandersetzung um den richtigen Kurs geführt wird, desto schärfer wird auch der Kampf der Worte. Aber dieser kann auch mit Respekt und Argumenten geführt werden. Politik sollte Debatte sein, Austausch, Überzeugung – nicht Lautstärke und Provokation. Dabei geht es gewiss nicht darum, Dinge zu zensieren oder zu verschweigen. Auch nicht darum Meinungen zu verbieten oder Sprachvorschriften zu machen. Nicht einmal um politische Korrektheit. Es geht vielmehr um Verantwortung und das Bewusstsein für die Wirkung der eigenen Worte. Es scheint, als hätten einige PolitikerInnen dies ein Stück weit vergessen. Richtigerweise bezeichnete CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer die Tonlage der Unionsparteien im Asylstreit deshalb als „völlig unwürdig“.

Ein reflektierter, zivilisierter Sprachgebrauch bedeutet keinesfalls die Leugnung der Realität oder die Repression anderer Meinungen. Er bedeutet nur, dass sich PolitikerInnen der Macht ihrer Worte bewusst sein und diese mit Bedacht wählen sollten. Denn alles Gesagte hat eine Wirkung. Wer auf die Diffamierung bestimmter Menschen setzt, um daraus politisches Kapital zu schlagen, betreibt ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Zurecht hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor Kurzem eine verbale Abrüstung gefordert. Die Politik müsse sich verantwortungsvoll streiten. „Das verlangt auch eine gewisse Disziplin bei der Sprache.“

Ein Essay von Jonas Sterzenbach.

Jonas Sterzenbach studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften in Erfurt und Vilnius und ist seit 2017 Masterstudent an der NRW School of Governance. Praktische Erfahrungen sammelte er unter anderem bei Praktika im Deutschen Bundestag und einer Politikberatung sowie bei seiner Werkstudententätigkeit für einen Wirtschaftsverband.