Ursache und Wirkung – Deutschlands Partner und die Wahlen

Was tun, wenn es brennt? Noch sind wir nicht soweit, aber es könnten Veränderungen eintreten, die die Bundesregierung genau vor diese Frage stellen … von Stephan Zitzler

Welche Auswirkungen haben die Wahlen für die Bundespolitik, für die Berliner Koalition, für die Machtbasis der Kanzlerin oder für das Schicksal der FDP? Während sich Deutschland mit der Wahl Gaucks zum Bundespräsidenten und der für viele richtungsweisenden Neuwahl in NRW medial ausführlich auseinandersetzt – beide Wahlen haben innenpolitisch immenses Gewicht −, wird oft übersehen, dass für Deutschland auch international ein wichtiges Wahljahr in vollem Gange ist. Die beiden wohl wichtigsten Partnerländer Deutschlands wählen sich noch dieses Jahr einen neuen Präsidenten. Dabei sollte unbedingt beachtet werden, dass auch internationale Ereignisse, die starke Wechselwirkungen auf globale Partnerschaften ausüben können, die deutsche Innenpolitik – und damit mithin auch Wahlen (man denke an 2013) – beeinflussen. Deutschlands Rolle in Europa und der Welt wird eben wirkungsmächtig nach Berlin zurückgespiegelt. Historisch betrachtet hatten die westlichen Partnerschaften für Deutschland immer mehr Gewicht als der Blick nach Osten, auch wenn dieses Denken sicherlich einem vereinfachten Schwarz-Weiß-Bild entspringt. Deshalb knüpft an die dortigen Wahlrituale die zentrale Frage an, ob sich mit den Ergebnissen eher Kontinuität oder eine (für manche unangenehme) Dynamik einstellen.

Schwarz-gelbe Brille: Was auf dem Spiel steht

Alles ist gut! Kanzlerin Merkel hat das deutsche Ansehen in Frankreich gemehrt – vergessen sind die Spannungen um eine europäische Wirtschaftsregierung – man zieht (größtenteils) wieder an einem politischen Strang. Die deutsche Gipfelstürmerin wird schon lange nicht mehr als ‚Madame Non‘ verunglimpft. Eine Umfrage Anfang 2012 unterstrich vielmehr das freundschaftliche Verhältnis Frankreichs und Deutschlands, 82 Prozent der Franzosen mögen die Deutschen – kritische Stimmen an dem politischen Duo Merkozy ändern daran nichts. Und auf der anderen Seite des Atlantiks? Die Beziehung zu dem Verbündeten in Übersee, den USA, ist schon lange nicht mehr so angespannt wie zu den Basta-Zeiten Schröders; auch wenn den Schwarzen-Peter Part (und damit die Ausnahme von der Regel) in der amerikanischen Regierung das eine ums andere Mal der Finanzminister Geithner gespielt hat. Jedenfalls erhält die Bundeskanzlerin Respekt für ihr Krisenmanagement; eigentlich ist Merkel von dieser internationalen Bühne gar nicht mehr wegzudenken (und wo ist der Außenminister? Marginalisiert! Außenpolitik ist – sobald es wirklich wichtig wird – zunehmend Kanzlerinpolitik).

Alles ist gut? Noch!?! Während was-wäre-wenn-Spiele als unfruchtbar verpönt gelten, bedienen wir uns doch der (wesensgleichen) Szenarienanalyse, um diese Frage für die Zukunft unter die Lupe zu nehmen. Wie gesagt, in zwei Ländern stehen Veränderungen an, falls ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird: Frankreich wählt am 6. Mai, die USA am 6. November. Betrachtet man die Regierungskonstellation als eine Variable, lässt sich auf die Konsequenzen schließen. Dies folgt einem einfachen Motto: Parties matter! Politische Überzeugungen und Weltanschauungen in verschiedenen Parteien machen folglich einen Unterschied.

Am Euro-Horizont ziehen schwarze Wolken auf

Nicht nur zieht die Präsidentenwahl in Frankreich aufgrund der zeitlichen Nähe nicht unerhebliche Aufmerksamkeit (auch in Deutschland) auf sich, sondern sie dürfte für Deutschland und die Regierung Merkel, ja sogar für das Schicksal des Euro, folgenschwer wiegen. Die Wahl wird sich zwischen dem Präsidenten Sarkozy (UMP) und dem sozialistischen Herausforderer Hollande entscheiden, der − auch wenn Sarkozy ihm ein wenig näher gekommen ist – in Umfragen gegen den Amtsinhaber führt. So weit so gut. Was bedeutet nun aber ein möglicher Machtwechsel in Paris für die Rettungsmission der Europäer? Diese hypothetische Frage mutiert zu einer rhetorischen, schaut man sich die Wahlkampfversprechen Hollandes an. Sowohl soll der Fiskalpakt nachverhandelt werden als auch das Verhältnis zu Deutschland auf eine ganz grundsätzlich neue Basis gestellt werden. In der aktuellen Situation muten diese Versprechen als das Blaue vom Himmel an. Zwar müht sich SPD Vorsitzender Gabriel seinen Parteikollegen zu unterstützen und die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu spielen (was zu einem bislang einmaligen gemeinsamen Interview in der FAZ geführt hat) – einer der drei potentiellen Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, fand weniger schmeichelhafte Worte für Hollandes Pläne: Der sozialistische Kandidat sei wohl naiv, falls er glauben würde, dass ein mühsam ausgehandeltes europäisches Paket wieder aufgeschnürt werde. Zweifelsfrei spielt es keine Rolle, wer im politischen Berlin den Ton angibt, Hollande als französischer Präsident dürfte so manchem in der Hauptstadt Bauchschmerzen bereiten. Konflikte sind jedenfalls vorprogrammiert, die (besser nutzbares) politisches Kapital und vor allem Zeit kosten werden. Da kann man nur hoffen, dass im Élysée-Palast nicht das Telefon klingelt und ein Diplomat ziemlich undiplomatisch erklärt, dass der Rubikon überschritten ist. Jedenfalls wäre es wohl vermessen anzunehmen, dass bei einem Machtverlust Sarkozys die Karten im europäischen Spiel nicht neu gemischt werden. Das Beispiel Camerons zeigt schon, was passiert, wenn eine Partei Druck auf den Regierungschef macht. Nur das Hollande Frankreich wohl nicht in die Isolation führt, denn ein paar südeuropäische Staaten warten nur darauf, dass sie endgültig den Währungsraum zur Fiskalunion (wir sind schließlich jetzt schon auf dem besten Weg dorthin) umbauen können.

Pulverfass Nah-Ost: Existentielle Fragen der Außenpolitik

Im Herbst wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten, der − glaubt man Umfragen und dem Trend der Ergebnisse der letzten Kongresswahlen – Republikaner sein könnte. Die Vorwahlschlacht, die innerhalb der Partei tobt (und eine sich leicht entspannende Konjunkturentwicklung), könnten diesem Szenario entgegenwirken. Von den republikanischen Kandidaten (die realistisch überhaupt noch eine Chance hatten) gilt Mitt Romney noch als der gemäßigtste. So wie es aussieht ist das kräftezehrende (teilweise selbstzerstörerische) Rennen um die Kandidatur so gut wie gelaufen. Nicht nur verfügt Romney über einen fast uneinholbaren Vorsprung an Delegiertenstimmen vor Santorum, sondern nach der öffentlichen Unterstützung einiger republikanischen Granden wie ex-Präsident Bush senior dürfte auch eine Überraschung auf dem Nominierungsparteitag obsolet geworden sein.

Bleibt die Frage nach den globalen Auswirkungen, sollte Obama nach nur einer Amtszeit das Weiße Haus schon wieder räumen müssen. Erstens wirft eine republikanische Präsidentschaft ihren Schatten auf die Klimaverhandlungen von Durban. Ob die USA sich einem verbindlichen neuen Klimavertrag unterwerfen, kann dann stark (bzw. noch stärker) angezweifelt werden. Zweitens steht allerdings auch Kontinuität auf der Agenda. Ein militärischer Strategiewechsel vom Fokus auf den pazifischen Raum und dem neuen (alten) Hauptkonkurrenten China um die Weltführerschaft zurück auf Europa gehört ins Reich der Phantasie. Drittens könnte ein Romney das Pulverfass im nahen Osten zünden. Jedenfalls wird hiermit Wahlkampf gemacht. So hält Romney Obama vor, Iran nur mit Samthandschuhen anzufassen; unter ihm wären diese Zeiten vorbei und er würde ALLES dafür tun, um zu verhindern, dass Iran die Bombe bekommt. Die Wahrscheinlichkeit für einen militärischen Schlag (was sicherlich keine permanente Lösung wäre) würde sprunghaft ansteigen (nicht dass Obama diesen Schritt gänzlich nicht bereit wäre zu gehen). Israel würde sich maßgeblich beteiligen – Iran würde dies nicht unbeantwortet lassen. Schon bekommt das Sicherheitsversprechen der „deutschen Staatsräson“, was Kanzlerin Merkel 2008 vor der Knesset gab, eine manifeste Bedeutung. Dann ist nicht mehr auszuschließen, dass deutsche Soldaten (zumindest) auf israelischen Boden Patriot-Systeme zur Verteidigung bedienen und eventuell sogar die deutsche Marine im Mittelmeer operiert. Was dies für diplomatische Verwerfungen zur arabischen Welt und an innenpolitischen Spannungen zur Folge hätte, mag man sich kaum auszumalen.

Der Wahlkampf ist ein Wahlkampf – ein Glücksfall

Man muss sicherlich kein Schwarzmaler oder Negativist sein, um diese Worst-Case-Szenarien als düstere Zukunftsmusik auf der Klaviatur zu spielen. Zu beachten bleibt dabei, dass viele Faktoren sich gar nicht so realisieren müssen. Beispielsweise sind die Siegeschancen Obamas in den letzten Monaten sicherlich gestiegen. Die überzeugendste Erklärung für Skepsis an den ausgeführten Argumenten ist vor allem eins: es ist Wahlkampf! Hier wird polarisiert, zugespitzt und die Dinge aufs Extrem getrieben – die Wahlkämpfer werfen ihre Angeln aus und fischen nach Stimmen und Stimmungen. Immer schon konnte beobachtet werden, dass Ankündigungen und Versprechungen wieder eingefangen werden, dass die Sieger nach ihrem Sieg zurückrudern, da Verantwortung läutert und mäßigt. Ob ein Hollande oder ein Romney ihren Worten Taten folgen lassen (vergessen wir dann auch an dieser Stelle nicht die weniger europafreundlichen Töne die Sarkozy jüngst von sich gab, denn wirklich funktional ist ein leerer Stuhl nur bei der Reise nach Jerusalem), bestimmen dann nicht mehr nur Wahlkampfkalküle und ihre Parteien, sondern vor allem auch die Regierungsapparate – Kosten-Nutzen-Rechnungen verändern sich auf einmal blitzschnell!

Wahlkämpfe haben allerdings auch noch eine weitere, klar negative Konsequenz: Politiker fangen an, einerseits von ihrer Haltung abzurücken und treffen andererseits während dieser Zeit bindende Entscheidungen. Sowohl in Frankreich als auch in den USA wird über einen beschleunigten Abzug aus Afghanistan debattiert. Zufälliges zeitliches Zusammenfallen mit dem Wahlkampf – Fehlanzeige! Dies hat dann aber auch Auswirkungen auf die Abzugspläne von deren Partner; nicht umsonst bemühte sich de Maizière den Eindruck zu vermeiden, dass ernsthaft an dem Beschlossenen gerüttelt wird. Nicht-Entscheidungen stehen zudem auch auf der Tagesordnung, wenn der Stimmenwettbewerb im Gange ist. Dies gipfelte in Obamas (ehrliche) Botschaft im Bezug auf den Raketenabwehrschirm an Putin, nach der Wahl sei er flexibler (was immer das konkret heißen mag).

Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Spannend ist das politische Geschehen allemal und für Deutschland in der europäischen und internationalen Politik könnte sich an der einen oder andern Stelle eine Dynamik entwickeln, die der Regierung, wenn es für sie selbst 2013 wieder ernst wird, auf die Füße fällt.